Digitaler Kolonialismus
Sie heißen Narrative Networks und Social Media in Strategic Communications. Ihre Administratoren bauen Fallen, in denen virale Bedrohungen ihre Virulenz verlieren.
Sie übernehmen den virtuellen Raum, in dem sich das Ziel bewegt. Sie trennen das Ziel von seiner Umgebung: auf der Basis soziokultureller Analysen, die es den Anwender*innen erlauben, Reaktionen der kontaminierten Milieus vorauszusagen.
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Als Marktforschungsinstitute getarnte Militärdienstleister erledigen für Regierungen die Drecksarbeit. Geschieht dies in Afrika, ergeben sich Beispiele für digitalen Kolonialismus. Korrupte Regimes erlauben die Auswertung über Mobilfunkanbieter und Soziale Medien generierter Daten, um das Wahlverhalten der Bevölkerung zu ihren Gunsten zu manipulieren. Die illegalen Wahlkämpfe finanzieren sie mit Steuern.
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Wylie erkennt, dass Politik und Mode „Erscheinungsformen desselben Phänomens“ sind. Die Gemeinsamkeiten bestimmen Zyklen von Kultur und Identität. Das sind Trends, deren Ästhetiken signalhaft das Verhalten steuern. Nehmen Sie den eben verstorbenen Norbert Blüm. Jahrzehnte erschien er als Garant des unabhängig-aufrechten Gewerkschaftskonservativen. Wer würde seine Performance heute als Glaubwürdigkeitsgipfel feiern?
Christopher Wylie trifft Steve Bannon
„Es hatte uns beide ins politische Feld geschlagen, aber unsere Leidenschaft war die Kultur.“
Die beiden Außenseiter mit einer Vorliebe für kognitive Verzerrungen und dem Zeug zur Massenmanipulation begegnen sich zuerst in Cambridge. Wylie besucht Bannon in einer Luxussuite. Der Amerikaner kommt ihm zuerst vor wie ein irrer Gebrauchtwarenhändler in einem Schmutzfilm. So imprägniert. Bald findet er Bannon „cool“ als Superausgabe des heterosexuellen weißen Mannes aka Dinosauriers.
Wylie erlebt einen sendungswütenden Kulturrevolutionär auf der reaktionären Schiene. Bannon will die konservative Wende via Kultur. Viele seiner Anhänger sind unattraktive junge weiße Männer, die Feminismus als Bedrohung erleben.
Beta Uprising
Den in einer Dauerentladung ewig toxischen Betamännchenzorn will Bannon melken. Betatypen gibt es in allen Lagern. Das Beta-Merkmal wirkt sich gravierender aus als Präferenzen. Bietet man der global aktiven Gruppe Gelegenheiten sich abzureagieren und aufzuwerten werden ihre Akteure, wie an Fäden gezogen, unter dem entsprechenden Banner marschieren. Bannon versteht das Phänomen als Vulgärpsychologe. Wylie weiß, wie die Kampagne zu führen ist. Beide sind Virtuosen der Verfügbarkeitsheuristik.
Ein anderes Beispiel. Ein republikanischer Gouverneur zeigt Auffälligkeiten, die ihn schrullig erscheinen lassen. Konservative wollen keine schrulligen Amtsträger. Wylie und sein Team analysieren die traditionelle Wählerschaft der Republikaner nach dem Fünf-Faktoren-Modell. In der knappsten Zusammenfassung ergibt sich ein Zusammenspiel von geringer Offenheit und großer Gewissenhaftigkeit. Mit diesem Wissen überfährt das Team die Abneigung gegen skurrile Daseinsformen. Es kreiert den Slogan: „Sie mögen mit mir nicht einer Meinung sein, aber immerhin kennen sie meinen Standpunkt.“
Die Ansage harmoniert mit republikanischer Ordnungsliebe. Fazit: Die Manipulatoren können Einstellungen umdrehen, wenn sie ihre Botschaften den psychometrischen Testergebnissen anpassen.
In Prozessen der Verfeinerung stellt Wylie sich die Frage: Gibt es Leute, die schwulenfeindliche Kirchenorganisationen unterstützen und (jetzt nicht trotzdem denken) in Bioläden einkaufen?
Wylie besucht eine Frau, die Homophobie mit Christentum und Yoga kombiniert. Sie bringt den Analytiker auf Ideen. Sie verwendet eine Reihe von „mentalen Abkürzungen“, die sie in die gesellschaftliche Mitte zurückkatapultieren; dahin, wo die Leute vor Fox News auf der Couch am Rad der Wut drehen. Dabei erwerben sie eine Gruppenidentität an ihren Interessen vorbei. Kritik an reaktionären Positionen und deren Repräsentanten betrachten sie als Angriff auf ihre Identität.