Programmkinoperlen
Megan Twohey beobachtet bereits zehn Jahren das Gefälle zwischen dem Wunsch von Weinstein angegangener Frauen, sich zu offenbaren, und Fallrückziehern der Besorgnis, als sich eine Lücke zeigt. Die Investigative stößt auf eine Assistentin aus der Keimzeit von „Miramax“, dem Weinstein’schen Wunderhorn voller Wettbewerbssiegerfilme – ein bis zur Erstklassigkeit scharf gemachtes Kino aus der zweiten Reihe des Hollywoodgeschehens; Highlights ihres Genres, die in einer Tradition regelmäßig versenkter Filme stehen, um als Programmkinoperlen in den Etuis der Liebhaber*innen zu enden, wenn nicht Weinstein daraus Kassenschlager macht. Der Mann mit Urgewalt-Appeal verkörpert nach allgemeiner Ansicht den Unterschied zwischen gut gemeint & gut gemacht. Wer ihn reizt, bringt jemanden gegen sich auf, der bulldozeresk vorgeht und unverhohlen droht.
Eines Tages alarmiert Jodi Kantor „eine Reihe panischer Textnachrichten“ von Gwyneth Paltrow. Harvey Weinstein stünde vor ihrem Haus in den Hamptons. So wenig wie viele andere ist Paltrow bereit, ihre den Produzenten schwer treffenden Vorwürfe öffentlich zu vertreten. Zu groß ist die Angst vor der „Wasserstoffbombe“, wie Weinstein unter anderem genannt wird. Sogar Ashley Judd, die von Haus aus bis zum Geht-nicht-mehr geradeheraus ist, scheut davor zurück, sich in dieser Angelegenheit zu exponieren.
Jodi Kantor, Megan Twohey, „#Me Too - Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“, aus dem Amerikanischen von Judith Elze und Katrin Harlas, Tropen Verlag, 352 Seiten, 18,-
Aufpolierte Programmkinoperlen
Megan Twohey beobachtet bereits zehn Jahren das Gefälle zwischen dem Wunsch von Weinstein angegangener Frauen, sich zu offenbaren, und Fallrückziehern der Besorgnis, als sich eine Lücke zeigt. Die Investigative stößt auf eine Assistentin aus der Keimzeit von „Miramax“, dem Weinstein’schen Wunderhorn voller Wettbewerbssiegerfilme – ein bis zur Erstklassigkeit scharf gemachtes Kino aus der zweiten Reihe des Hollywoodgeschehens; Highlights ihres Genres, die in einer Tradition regelmäßig versenkter Filme stehen, um als Programmkinoperlen in den Etuis der Liebhaber*innen zu enden, wenn nicht Weinstein daraus Kassenschlager macht. Der Mann mit Urgewalt-Appeal verkörpert nach allgemeiner Ansicht den Unterschied zwischen gut gemeint & gut gemacht. Wer ihn reizt, bringt jemanden gegen sich auf, der bulldozeresk vorgeht und unverhohlen droht.
Weinstein setzt Black Cube-Agenten ein.
„Black Cube ist ein privater Nachrichtendienst mit Niederlassungen in London, Madrid und Tel Aviv und der Handelsname von BC Strategy Ltd.“ Wikipedia
Die Agentur steht für Effizienz. Weinsteins Kommunikationsstil ist den Virtuosen aus dem industriell-militärischen Komplex ein Gräuel. Der Mangel an Selbstbeherrschung, die Raging Bull-Attitüde und das Brecheisen-Image sind super kontraproduktiv. Ronan Farrow schildert in seinem #MeToo-Durchbruch Szenen, in denen BC-Akteure als regungslose Zeugen des Weinstein-Vulkanismus Meisterwerke der Kontraintuition abliefern. Sie sind viel zu abgeschliffen, um gefühlvoll zu reagieren; es sei denn, das Drehbuch verlangt Emotionalität.
„Weinstein (beginnt) zu brüllen … Dylan Howard (grinst). Der Mitarbeiter von Black Cube (verzieht) keine Miene.“
Am selben Abend schickt Avi Yanus Weinsteins Zahlstelle die nächste Rechnung. Der Mogul blecht dafür, dass Black Cube ein Bild von der Wirklichkeit designt, dass mit der Wahrheit konkurrieren kann. Weinstein investiert ein Vermögen in seine Fehler, um die Fehler nicht wahrhaben zu müssen. Er arbeitet nicht an seiner Exkulpation, sondern an einer Apologetik. Die Journalistinnen Kantor und Twohey suchen die Potenz auf der Gegenseite. Nun entdeckt Twohey einen kaum spektakulären Vorgang. Eine junge Frau verschwand nach einem steilen Aufstieg im Weinstein-Imperium so vollständig in der Versenkung, dass noch nicht einmal Facebook der Profilerin weiterhilft. Da hat sich jemand in den Schatten des Schweigens zurückzogen, der sehr wohl etwas zu sagen haben könnte.
Sie alle und viele mehr werfen Harvey Weinstein sexuelle Gewalt vor: Rose McGowan, Ambra Battilana Gutierrez, Asia Argento, Lucia Evans, Ashley Judd, Emily Nestor, Gwyneth Paltrow, Rosanna Arquette, Emma de Caunes, Cara Delevingne, Zelda Perkins, Heather Graham, Zoë Brock.
Brachiale Avancen
Gehen wir noch einmal um den Block. Die Reporterinnen fliegen nach London, um Zelda Perkins zu treffen. Auch sie hat nach einer kurzen Spanne als Weinstein-Mitarbeiterin eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschrieben. Ihren ehemaligen Chef bezeichnet sie als zwanghaften Eroberer.
„Jede Reise mit ihm … fühlte sich an wie ein Bungee-Sprung.“
Weinstein setzt seine Mitarbeiterinnen einem Wechselbad der Gefühle aus. Mitunter überschüttet er sie mit Gratifikationen; überlässt ihnen den Firmenjet; verschenkt Wochenende in Ritz-Suiten. Gleichzeitig traktiert er sie mit brachialen Avancen.
Basisinformationen aus der Matrix des Bösen
Die NYT-Investigativen Jodi Kantor und Megan Twohey waren die Ersten. Vor ihnen interpretierte man den sexistischen Sumpf von Hollywood einfach nur als eine schäbig-normative Kraft, die Elevinnen formte. Die Typewriter-Gunner der New York Times änderten das im harten Einsatz.
„Every dog has its day.“ - Als Pate der Sieger*innen erscheint Harvey Weinstein. Er hat nicht nur „Reservoir Dogs“ groß gemacht.
1997 ist Rose McGowan „die Königin“ des Sundance Film Festivals. Das unabhängige Kino steht einmal wieder im Zentrum einer kulturellen Erhebung. Independent firmiert als Markenzeichen. Als Pate der Sieger*innen erscheint Harvey Weinstein. Er hat nicht nur „Reservoir Dogs“ groß gemacht. McGowan nimmt eine Einladung ins Resort Stein Eriksen Lodge Deer Valley an und erlebt da etwas, dass Weinstein mit Geld aus der Welt schaffen will.
Jodi Kantor, Megan Twohey, „#Me Too - Von der ersten Enthüllung zur globalen Bewegung“, aus dem Amerikanischen von Judith Elze und Katrin Harlas, Tropen Verlag, 352 Seiten, 18,-
McGowan spricht offen über den Ablasshandel und verstößt damit gegen die Spielregeln eines erkauften Schweigens.
„Die Studios diffamieren die Opfer und kaufen sich frei.“
Sie alle und viele mehr werfen Harvey Weinstein sexuelle Gewalt vor: Rose McGowan, Ambra Battilana Gutierrez, Asia Argento, Lucia Evans, Ashley Judd, Emily Nestor, Gwyneth Paltrow, Rosanna Arquette, Emma de Caunes, Cara Delevingne, Zelda Perkins, Heather Graham, Zoë Brock.
Erinnern wir uns an Ronan Farrows „Durchbruch“. In seiner Drachentöter-Saga erscheint Harvey Weinstein als „Raubtier“. Der Master of the Universe pflegt einen bedrohlichen Kommunikationsstil. Rivalen setzt er „mittelalterlich“ zu. In Hollywood gibt er sich die Dimension einer Urgewalt. Wer ihm in die Quere kommt, kann manchmal nur noch auf einem anderen Kontinent neu anfangen. Der Unantastbare hat die Macht, seine Gegner*innen verbannen – zu zersetzen – zu verwüsten. Mal dreht er sie durch den Verleumdungswolf und macht Pariawürste aus ihnen. Dann wieder erschreckt er Leute mit erschreckenden Leuten.
Weinstein lässt sein Schattenreich von militärakademisch gebildeten Existenz-Vernichter*innen abschirmen.
Wussten Sie das?
Es gibt Agenturen, die darauf spezialisiert sind, unliebsame Zeitgenoss*innen aus der Bahn zu werfen, indem sie Dreck ausgraben. Es gibt Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Dreck zu erfinden, und es gibt Agenturen, die darauf spezialisiert sind, herauszufinden, ob die Dreck-Ausgräber*innen und -Produzent*innen von einer Agentur im Counter-Strike-Modus ins Visier genommen werden. Aus diesen Modulen ergeben sich komplexe Über-Bande-Konstellationen. Virale Figurationen formieren sich zu sozialen Skulpturen.
Mit solchen Typen & Methoden schützt Weinstein sein Business. Die Emissionen seines Schwefelatems können tödlich sein. Davon hat Gwyneth Paltrow noch keinen Schimmer als sie beim Toronto Film Festival Anfang der Neunzigerjahre Weinstein vor einem Fahrstuhl kennenlernt. Er zieht die Talentnummer ab und verspricht, die Newcomerin zu produzieren. Der große Mann bietet Paltrow bald die Hauptrolle der E. Woodhouse in einer Adaption von Jane Austens „Emma“ an. Als umschwärmte, mit Brad Pitt liierte Protagonistin der Weinstein‘schen Miramax-Crew rauscht Paltrow im Erfolg.
Eines Tages bittet sie Weinstein um ein Treffen im Peninsula Hotel in Beverly Hills; der „Privatsphäre“ wegen in einer Suite. „Ich kam dort angehüpft wie ein Golden Retriever, total glücklich, Harvey zu sehen.“ Weinstein rückt rasch auf. Paltrow entzieht sich konsterniert. Ein „Onkel“ entpuppt sich als Grabscher. Pitt interveniert bei nächster Gelegenheit. Er rät Weinstein zu größerer Zurückhaltung. Man ahnt das gemäßigte Klima, in dem die Zurechtweisung erfolgt.
Weinstein ist aber nicht gemäßigt. Ihm fehlt jede Reserve. Er explodiert aus dem Stand. In ihm wütet ein Sturm. Genauso gut könnte man sagen: In ihm arbeiten Reaktoren. Seine Performance spottet jeder Beschreibung. Ablehnung in der Preisklasse einer hochgezogenen Braue kriegt er gar nicht mit.
Ihn hält keiner auf. Sobald er Unrat wittert, setzt Weinstein seine Truppen in Gang. Prophylaktisch lässt er Türen einrennen. Kollateralschäden gehen ihm am Knie vorbei.
Er bedroht die Debütantin am Telefon und erklärt ihre Karriere für beendet, bevor sie tüchtig Fahrt aufgenommen hat. Die Angegangene reagiert entsetzt.
Man arrangiert sich.
Die Autorinnen schreiben: „Das Ethos von Hollywood bestünde darin, sagte sie, Beschwerden herunterzuschlucken und sich mit genau solchem Verhalten abzufinden.“
Paltrow behauptet, sich als Einzelfall wahrgenommen zu haben. Ihr sei nicht bewusst geworden, dass sie an Fäden eines sexistischen Puppenspielers so hing wie zig andere auch.
Alle verdrängen die notorischen Übergriffigkeit ihres Bosses, der im Gemunkel der Angestellten als „Wasserstoffbombe“ Erwähnung findet. Paltrow rutscht aus Weinsteins Fokus. Zwanzig Jahre später beschränkt sie sich zunächst auf die Rolle einer Informantin. Sie fürchtet, durch den Medienschlamm gezogen zu werden, würde sie sich zu sehr exponieren.
„Paltrow stellte klar, sie sei noch weit davon entfernt, die Geschichte offiziell freizugeben. Sie habe, gelinde ausgedrückt, in der Presse gerade keinen guten Stand. Ihre E-Commerce- und Lifestyle-Marke Goop hatte …“
Die Unternehmerin argumentiert mit den Hypotheken von ihr Abhängiger. Immerhin wirbt sie für die Recherche und ihre Akteurinnen bei befreundeten Weinstein-Opfern. Die Journalistinnen tasten sich immer wieder zu toten Punkten vor. Eine Horrorreferenz bietet ihnen Donald Trump, dem eine Salve entlarvender Artikel nach der nächsten nichts anhaben kann.