Basisinformationen aus der Matrix des Bösen
Die NYT-Investigativen Jodi Kantor und Megan Twohey waren die Ersten. Vor ihnen interpretierte man den sexistischen Sumpf von Hollywood einfach nur als eine schäbig-normative Kraft, die Elevinnen formte. Die Typewriter-Gunner der New York Times änderten das im harten Einsatz.
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„Every dog has its day.“ - Als Pate der Sieger*innen erscheint Harvey Weinstein. Er hat nicht nur „Reservoir Dogs“ groß gemacht.
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1997 ist Rose McGowan „die Königin“ des Sundance Film Festivals. Das unabhängige Kino steht einmal wieder im Zentrum einer kulturellen Erhebung. Independent firmiert als Markenzeichen. Als Pate der Sieger*innen erscheint Harvey Weinstein. Er hat nicht nur „Reservoir Dogs“ groß gemacht. McGowan nimmt eine Einladung ins Resort Stein Eriksen Lodge Deer Valley an und erlebt da etwas, dass Weinstein mit Geld aus der Welt schaffen will.
1997 ist Rose McGowan „die Königin“ des Sundance Film Festivals. Das unabhängige Kino steht einmal wieder im Zentrum einer kulturellen Erhebung. Independent firmiert als Markenzeichen. Als Pate der Sieger*innen erscheint Harvey Weinstein. Er hat nicht nur „Reservoir Dogs“ groß gemacht. McGowan nimmt eine Einladung ins Resort Stein Eriksen Lodge Deer Valley an und erlebt da etwas, dass Weinstein mit Geld aus der Welt schaffen will.
McGowan spricht offen über den Ablasshandel und verstößt damit gegen die Spielregeln eines erkauften Schweigens.
„Die Studios diffamieren die Opfer und kaufen sich frei.“
Sie alle und viele mehr werfen Harvey Weinstein sexuelle Gewalt vor: Rose McGowan, Ambra Battilana Gutierrez, Asia Argento, Lucia Evans, Ashley Judd, Emily Nestor, Gwyneth Paltrow, Rosanna Arquette, Emma de Caunes, Cara Delevingne, Zelda Perkins, Heather Graham, Zoë Brock.
Erinnern wir uns an Ronan Farrows „Durchbruch“. In seiner Drachentöter-Saga erscheint Harvey Weinstein als „Raubtier“. Der Master of the Universe pflegt einen bedrohlichen Kommunikationsstil. Rivalen setzt er „mittelalterlich“ zu. In Hollywood gibt er sich die Dimension einer Urgewalt. Wer ihm in die Quere kommt, kann manchmal nur noch auf einem anderen Kontinent neu anfangen. Der Unantastbare hat die Macht, seine Gegner*innen verbannen – zu zersetzen – zu verwüsten. Mal dreht er sie durch den Verleumdungswolf und macht Pariawürste aus ihnen. Dann wieder erschreckt er Leute mit erschreckenden Leuten.
Weinstein lässt sein Schattenreich von militärakademisch gebildeten Existenz-Vernichter*innen abschirmen.
Wussten Sie das?
Es gibt Agenturen, die darauf spezialisiert sind, unliebsame Zeitgenoss*innen aus der Bahn zu werfen, indem sie Dreck ausgraben. Es gibt Agenturen, die darauf spezialisiert sind, Dreck zu erfinden, und es gibt Agenturen, die darauf spezialisiert sind, herauszufinden, ob die Dreck-Ausgräber*innen und -Produzent*innen von einer Agentur im Counter-Strike-Modus ins Visier genommen werden. Aus diesen Modulen ergeben sich komplexe Über-Bande-Konstellationen. Virale Figurationen formieren sich zu sozialen Skulpturen.
Mit solchen Typen & Methoden schützt Weinstein sein Business. Die Emissionen seines Schwefelatems können tödlich sein. Davon hat Gwyneth Paltrow noch keinen Schimmer als sie beim Toronto Film Festival Anfang der Neunzigerjahre Weinstein vor einem Fahrstuhl kennenlernt. Er zieht die Talentnummer ab und verspricht, die Newcomerin zu produzieren. Der große Mann bietet Paltrow bald die Hauptrolle der E. Woodhouse in einer Adaption von Jane Austens „Emma“ an. Als umschwärmte, mit Brad Pitt liierte Protagonistin der Weinstein‘schen Miramax-Crew rauscht Paltrow im Erfolg.
Eines Tages bittet sie Weinstein um ein Treffen im Peninsula Hotel in Beverly Hills; der „Privatsphäre“ wegen in einer Suite. „Ich kam dort angehüpft wie ein Golden Retriever, total glücklich, Harvey zu sehen.“ Weinstein rückt rasch auf. Paltrow entzieht sich konsterniert. Ein „Onkel“ entpuppt sich als Grabscher. Pitt interveniert bei nächster Gelegenheit. Er rät Weinstein zu größerer Zurückhaltung. Man ahnt das gemäßigte Klima, in dem die Zurechtweisung erfolgt.
Weinstein ist aber nicht gemäßigt. Ihm fehlt jede Reserve. Er explodiert aus dem Stand. In ihm wütet ein Sturm. Genauso gut könnte man sagen: In ihm arbeiten Reaktoren. Seine Performance spottet jeder Beschreibung. Ablehnung in der Preisklasse einer hochgezogenen Braue kriegt er gar nicht mit.
Ihn hält keiner auf. Sobald er Unrat wittert, setzt Weinstein seine Truppen in Gang. Prophylaktisch lässt er Türen einrennen. Kollateralschäden gehen ihm am Knie vorbei.
Er bedroht die Debütantin am Telefon und erklärt ihre Karriere für beendet, bevor sie tüchtig Fahrt aufgenommen hat. Die Angegangene reagiert entsetzt.
Man arrangiert sich.
Die Autorinnen schreiben: „Das Ethos von Hollywood bestünde darin, sagte sie, Beschwerden herunterzuschlucken und sich mit genau solchem Verhalten abzufinden.“
Paltrow behauptet, sich als Einzelfall wahrgenommen zu haben. Ihr sei nicht bewusst geworden, dass sie an Fäden eines sexistischen Puppenspielers so hing wie zig andere auch.
Alle verdrängen die notorischen Übergriffigkeit ihres Bosses, der im Gemunkel der Angestellten als „Wasserstoffbombe“ Erwähnung findet. Paltrow rutscht aus Weinsteins Fokus. Zwanzig Jahre später beschränkt sie sich zunächst auf die Rolle einer Informantin. Sie fürchtet, durch den Medienschlamm gezogen zu werden, würde sie sich zu sehr exponieren.
„Paltrow stellte klar, sie sei noch weit davon entfernt, die Geschichte offiziell freizugeben. Sie habe, gelinde ausgedrückt, in der Presse gerade keinen guten Stand. Ihre E-Commerce- und Lifestyle-Marke Goop hatte …“
Die Unternehmerin argumentiert mit den Hypotheken von ihr Abhängiger. Immerhin wirbt sie für die Recherche und ihre Akteurinnen bei befreundeten Weinstein-Opfern. Die Journalistinnen tasten sich immer wieder zu toten Punkten vor. Eine Horrorreferenz bietet ihnen Donald Trump, dem eine Salve entlarvender Artikel nach der nächsten nichts anhaben kann.
Fallrückzieher der Besorgnis
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Eines Tages alarmiert Jodi Kantor „eine Reihe panischer Textnachrichten“ von Gwyneth Paltrow. Harvey Weinstein stünde vor ihrem Haus in den Hamptons. So wenig wie viele andere ist Paltrow bereit, ihre den Produzenten schwer treffenden Vorwürfe öffentlich zu vertreten. Zu groß ist die Angst vor der „Wasserstoffbombe“, wie Weinstein unter anderem genannt wird. Sogar Ashley Judd, die von Haus aus bis zum Geht-nicht-mehr geradeheraus ist, scheut davor zurück, sich in dieser Sache zu exponieren.
Aufpolierte Programmkinoperlen
Megan Twohey beobachtet bereits zehn Jahren das Gefälle zwischen dem Wunsch von Weinstein angegangener Frauen, sich zu offenbaren, und Fallrückziehern der Besorgnis, als sich eine Lücke zeigt. Die Investigative stößt auf eine Assistentin aus der Keimzeit von „Miramax“, dem Weinstein’schen Wunderhorn voller Wettbewerbssiegerfilme – ein bis zur Erstklassigkeit scharf gemachtes Kino aus der zweiten Reihe des Hollywoodgeschehens; Highlights ihres Genres, die in einer Tradition regelmäßig versenkter Filme stehen, um als Programmkinoperlen in den Etuis der Liebhaber*innen zu enden, wenn nicht Weinstein daraus Kassenschlager macht. Der Mann mit Urgewalt-Appeal verkörpert nach allgemeiner Ansicht den Unterschied zwischen gut gemeint & gut gemacht. Wer ihn reizt, bringt jemanden gegen sich auf, der bulldozeresk vorgeht und unverhohlen droht.
Weinstein setzt Black Cube-Agenten ein.
„Black Cube ist ein privater Nachrichtendienst mit Niederlassungen in London, Madrid und Tel Aviv und der Handelsname von BC Strategy Ltd.“ Wikipedia
Die Agentur steht für Effizienz. Weinsteins Kommunikationsstil ist den Virtuosen aus dem industriell-militärischen Komplex ein Gräuel. Der Mangel an Selbstbeherrschung, die Raging Bull-Attitüde und das Brecheisen-Image sind super kontraproduktiv. Ronan Farrow schildert in seinem #MeToo-Durchbruch Szenen, in denen BC-Akteure als regungslose Zeugen des Weinstein-Vulkanismus Meisterwerke der Kontraintuition abliefern. Sie sind viel zu abgeschliffen, um gefühlvoll zu reagieren; es sei denn, das Drehbuch verlangt Emotionalität.
„Weinstein (beginnt) zu brüllen … Dylan Howard (grinst). Der Mitarbeiter von Black Cube (verzieht) keine Miene.“
Am selben Abend schickt Avi Yanus Weinsteins Zahlstelle die nächste Rechnung. Der Mogul blecht dafür, dass Black Cube ein Bild von der Wirklichkeit designt, dass mit der Wahrheit konkurrieren kann. Weinstein investiert ein Vermögen in seine Fehler, um die Fehler nicht wahrhaben zu müssen. Er arbeitet nicht an seiner Exkulpation, sondern an einer Apologetik. Die Journalistinnen Kantor und Twohey suchen die Potenz auf der Gegenseite. Nun entdeckt Twohey einen kaum spektakulären Vorgang. Eine junge Frau verschwand nach einem steilen Aufstieg im Weinstein-Imperium so vollständig in der Versenkung, dass noch nicht einmal Facebook der Profilerin weiterhilft. Da hat sich jemand in den Schatten des Schweigens zurückzogen, der sehr wohl etwas zu sagen hat.
„Ich habe seit siebenundzwanzig Jahren darauf gewartet, dass jemand an meine Tür klopft.“
Brachiale Avancen
Gehen wir noch einmal um den Block. Die Reporterinnen fliegen nach London, um Zelda Perkins zu treffen. Auch sie hat nach einer kurzen Spanne als Weinstein-Mitarbeiterin eine Verschwiegenheitsvereinbarung unterschrieben. Ihren ehemaligen Chef bezeichnet sie als zwanghaften Eroberer.
„Jede Reise mit ihm … fühlte sich an wie ein Bungee-Sprung.“
Weinstein setzt seine Mitarbeiterinnen einem Wechselbad der Gefühle aus. Mitunter überschüttet er sie mit Gratifikationen; überlässt ihnen den Firmenjet; verschenkt Wochenende in Ritz-Suiten. Gleichzeitig traktiert er sie mit brachialen Avancen.
Barbar im Bademantel
Harvey Weinstein pflegt einen bulldozeresken Kommunikationsstil. Jahrzehnte setzt er seine Gegner*innen mafiös unter Druck. Doch dann dreht sich das Rad und der Mogul muss zurückrudern.
Weinstein empfängt Debütantinnen aus allen Fächern der Branche im Bademantel in Hotelsuiten. Der Tycoon blendet die Frauen mit Champagner. Er täuscht eine Wertschätzung vor, die er gewiss nicht empfindet. Oft erbittet er in seinem fordernden Stil eine Massage. Er deklariert den Service als „normale“ Entspannungshilfe im Rahmen der beruflichen Obliegenheiten: wenigstens dann, wenn sich die Falle so einfach stellen lässt. So wie im Fall von Laura Madden, die in den frühen Neunzigerjahren Weinstein in die Hände fiel.
„Madden war 1992 gerade mal ein- oder zweiundzwanzig gewesen, ein irisches Mädchen vom Lande mit wenig Lebenserfahrung. Sie war auf einem Anwesen aufgewachsen …“
Die Autorinnen schildern eine von dem generationellen Nachlassen der familiären Spannkraft ruinierte Idylle voller ruraler Kleinode und anderer Marken des Entzückens in einem Raum zwischen Vernachlässigung und märchenhaft verwunschenen Flecken. Die Maddens sind der versprengten Nachbarschaft zu „britisch“. Laura ergattert erst einen Job beim Film und dann noch einen*. Sie castet authentische Landeier; Leute mit merkwürdigen Gesichtern; schräge Figuren; schillernde Vögel.
*Das weiße Zauberpferd - Into the West mit Gabriel Byrne und Ellen Barkin in den Premiumrollen.
Eines Tages zitiert sie der Boss nach Dublin ins Hotel.
…
Schäbiges Schema
Ihre Geschichte wird als „eine Art Destillat“ beschrieben. Madden arrangiert sich, weil der Teufel ihr einen Traumjob offeriert. Der Pakt vernichtet ihre natürliche Selbstsicherheit. Er greift die Integrität nach einem schäbigen Schema an.
Weinstein weiß, was er tut, wenn er seine Opfer mit Lockangeboten an seiner Stange des schönen Scheins hält. Er korrumpiert die Selbstachtung der Frauen. Kantor und Twohey erkennen das „Muster“. Es ergibt sich aus abgefeimten Winkelzügen. Jede Missbrauchte und anschließend Bearbeitete erlebt ihre Behandlung als einzigartigen Vorgang. Sie ist wehrlos, weil sie die Routinen auf der Gegenseite nicht begreift. Sie hält sich für die Auserwählte eines Scheißschicksals.
Laura Madden wird immer weiter bedrängt
Sechs Jahre arbeitet Madden für Weinstein. Solange fühlt sie sich „kompromittiert“. Sie lebt mit der Last, für den ersten Übergriff selbst verantwortlich gewesen zu sein.
Sie „war niemals wirklich glücklich bei Miramax. Besuchte der Produzent die Londoner Dependance, wusste sie nie, mit welcher Version von ihm sie es zu tun bekommen würde: der charmanten oder der gefährlichen.“
Kantor und Twohey sind erschüttert, als sie Jahrzehnte später die Details zur Kenntnis nehmen. Überall liegen Fallstricke herum. Weinstein unterhält legale und illegale Abwehrstationen.
Bedenken wir einen Augenblick, wie es dem gleichfalls gegen Weinstein ermittelnden Ronan Farrow ergeht:
Es kommt der Tag, da verliert Farrow die Unterstützung seines Arbeitgebers NBC. „Er steht mit dem Rücken zur Wand und hat eine Menge zu verlieren … Es wird Krieg geben.“ Harvey Weinstein mobilisiert eine Armee von Dreckschleuderkoryphäen. Er beschäftigt promovierte Zuhältertypen, die akademische Inkontinenz im Plural ihrer mediokren Erscheinungen: furchtbar gewundene, sich wegduckende, sadistische, den Harn der Häme versprühende Feiglinge mit superdiversen Geheimdienstportfolios. Auf der forensischen Schleimspur wird aus Secret Sekret Service. Hochdotierte Schmierlappen tanzen um das goldene Kalb der uninspirierten Inkompetenz. Viele wissen nicht, was die Autor*innen der Menschheitsmythen längst wussten: Wenn eines Weinsteins Zeit gekommen ist, dann fällt er auch dann, wenn er die weltweit fähigsten (käuflichen) Fighter*innen zu seinem Ensemble gemacht hat. Wir wissen aus der Literatur, dass die Besten der Besten nicht einmal mehr so tun, als würden sie etwas anderes als unverschämt teure Spirituosen auf Kosten ihrer Arbeitgeber in raffiniert verspiegelt und ausgeleuchteten Hotelbars verkosten. Sie haben schon so viele Walking Deads gesehen. Ihnen brennt nichts mehr unter den Nägeln. Sie träumen von den Offenbarungen des Todes in den Nachtwäldern des Lebens.
Noch erinnert Weinstein an eine Vollholzerntemaschine. Der Harvester kauft sich ein Konsortium professioneller Destabilisierer*innen zusammen. Viele Kolleg*innen sind stolz auf einen Geheimdiensthintergrund. Doch bleibt der Dreck, mit dem die Ermittler*innen beworfen werden, nicht haften.
Warum nicht?
Weinstein ist kein Baumeister Potemkin’scher Dörfer; kein genialer Architekt des Bösen. Wiederholt schildert er sich als Getriebenen. Einige Zeugnisse legen die Vermutung nah, dass Weinstein von seinen Opfern Verständnis verlangte. Dass er nach Erlösung schrie, während er durch die Gegend ejakulierte wie ein großer Hund im Markierungsrausch.
Persönliche Dummheit
Weinstein kann nicht delegieren. Er kann nicht sagen, du bist die beste Dreckschleuder, die man für Geld kriegt, also mach und ich funk dir nicht in dein Business. Stattdessen hängt er sich überall rein und mischt inkompetent mit. Er hat Hollywood wie ein wilder Stier erobert. Er glaubt, so läuft der Hase geradeaus immer mit dem Kopf durch die Wand. Er pfuscht den netzwerkenden und strippenziehenden Puppenspieler*innen ins Handwerk. Er stört den von ihm in Gang gesetzten und kostspielig geschmierten Betrieb der klandestinen Zersetzung. Der einzige, der die Teams und Einzelgänger*innen der Wahrheit wirklich beschützt, ist Weinstein in seiner persönlichen Dummheit. Ohne Weinsteins Irrationalität hätte keine Ermittlerin keine Chance gegen eine See von Plagen, wie es im Hamlet heißt, der zur Belehrung der Gegenwärtigen noch immer herangezogen werden kann.
Solange Shakespeare unsere Stücke schreibt, ist das Theater in der Gegenwart nicht angekommen. Ungefähr Heiner Müller
Wussten Sie das? Es gibt Nachrichtenagenturen, die wie Müllschlucker funktionieren
Akteure auf dem Nachrichtenmarkt kaufen inkriminierende Geschichten, die danach schreien, veröffentlicht zu werden – nur um sie in der Versenkung verschwinden zu lassen. Donald Trump habe sich so systematisch entlastet, so Farrow. Im Auftrag Mächtiger ergattern als Journalisten getarnte Lobbyisten Signaturen unter Geheimhaltungskontrakten. Dies vollziehe sich in virtuellem Pulverdampf.
Lore des Ehrgeizes
Jahrzehnte machte sich ein Mächtiger die Karrierehoffnungen junger Frauen zunutze. Harvey Weinstein verwandelte Hotelzimmer in Schreckenskammern. Er baute ein Fallensystem auf, in dem die gnädige Seite der sozialen Evolution, die wie Pilze aus dem Boden schießenden, stets unvorhersehbaren Zukunftschancen, die der Nachwuchs wie ein blinder Esel in der Lore seines Ehrgeizes über gesellschaftliche Schienenstränge zieht, umgeleitet wurden zu verwerflichen Zwecken in Suiten der Spitzenklasse. In Wohnzimmern für eine Nacht erlebten Debütantinnen Erektionsverstörungen im Rahmen eines seriell-grauenhaften Pas de deux.
Die Story ist gut. Sie ist notwendig gleichermaßen als Kunde des Tages und als Epochennachricht. Das muss jetzt endlich mal gesagt werden, denken viele Akteure aus den Registraturen der Besserinformierten. Doch kaum steht die Veröffentlichung im Raum, rudern die als Zeugen publizistisch aufgerufenen Opfer zurück. Sie fürchten die Mahlwerke der vernichtenden Verfolgung, die Weinsteins Ruchlosigkeiten absichern.
Wenn Sie sich erst einmal dazu entschlossen haben, jemanden Einhalt zu gebieten, ergibt sich das Weitere nach einem Reizreaktionsmuster, das vor allem eine große Frustrationstoleranz verlangt. Sie dürfen sich nicht provozieren lassen. Die Provokation dient dem Provokateur. Typen wie Weinstein bezahlen überqualifizierten Privatbütteln viel Geld dafür, dass sie Leute über ihre Ufer treten lassen. Auf Kompromittierung und Erpressung spezialisierte Unternehmen erschüttern und zersetzen zur Bearbeitung ausgeschriebene Kandidat*innen. Die von Weinstein Bearbeiteten verkrochen sich unter Steinen der Anonymität. Aufgestöbert und ans Licht gedreht, zeigten sie sich zunächst extrem zugänglich gegenüber den verständnisvoll aufwartenden Journalistinnen, die ihre eigene Raubtierartigkeit zu verbergen suchten. Man klebt nicht Jahre an einer beinah aussichtslosen Sache, wenn man nicht die Potenz eines Gipfelprädators in die Waagschalen des Lebens werfen kann. Die größte Gefahr liegt in der Freundlichkeit. Hartes Anrempeln ist niemals toxisch. Toxisch sind Schleich- und Schmiermanöver. Von ihrer Angst klug gemacht, gehen die eben noch Offenherzigen nun mit einstweiligen Verfügungen gegen die Jägerinnen des Bösen vor. Es tut uns so leid, sagen sie wie aus einem Mund. Wir haben solche Angst vor Harvey und seinen Schergen.
Epstein'sche Elendsepik
Inzwischen kennen wir Weinstein als gebrochenen Rollatorschieber im Epstein'schen Elend. Sein Verfall verdankt sich Type-Riders, die jahrelang nicht aus dem Sattel ihrer Entschlossenheit gekommen sind. Die Gunner des Guten standen vor dem Nichts, als kurz vor Deadline die Reservistinnen der Angst mit juristischem Dynamit warfen.
Jodi Kantor und Megan Twohey kämpften um ihre Arbeit und um ihre seelische Gesundheit. Sie wollten Weinsteins Machenschaften auf dem Grill der Öffentlichkeit ausbreiten. „Einer der wenigen, die sich zu einem Statement durchringen konnten, war Mark Gill, ehemaliger Vorsitzender von Miramax Los Angeles. Von außen war alles schimmerndes Gold – die Oscars, der Erfolg, der beachtliche kulturelle Einfluss, aber hinter den Kulissen war es ein einziger Schlamassel, und das war der größte Schlamassel überhaupt.“
Verpasste Chancen
Megan Twohey und Jodi Kantor hören die gleiche Geschichte in zig Fassungen. Harvey Weinsteins Interventionen sind frappierend rumpelig. Er setzt Abhängige unter Druck, führt sie in Sackgassen des Gemüts, um sie da zu entwürdigenden Handlungen zu veranlassen. In nicht wenigen Fällen sorgt er dafür, dass eine Missbrauchte nicht aus seinem Schatten treten kann. Er hält sie in seiner Herrschaftssphäre und erzeugt ein Klima, dass sein Verhalten normal und das Verhalten der bedrängten Person fragwürdig erscheinen lässt.
Wie ein absolutistischer Herrscher erhebt Weinstein Ansprüche
Von ihm Abhängige werden suggestiv an den Leibeigenen-Modus herangeführt. Schließlich verwahren sie sich in ihren selbstgesprächigen Verteidigungen gegen die absurdesten Anschuldigungen. Sie formulieren in eiligen Vorwegnahmen den hypertrophen Gegnertext in Erwartung aller möglichen (herbeispekulierten) Vorwürfe. Sie staffieren ihr Leben mit Furcht aus.
Immer wieder Black Cube: „Black Cube tat sehr viel mehr, als Leute nur zu überwachen. Sie manipulierten sie auch, bedienten sich sogar eines Schauspielers, der eine falsche Identität annahm, um nichtsahnende Zielpersonen hinters Licht zu führen.“
Weinstein zahlt „den professionellen Manipulatoren hunderttausend US-Dollar monatlich … damit sie sein Verhalten jeder sorgfältigeren Überprüfung (entziehen)“.
Und was bringt ihm das?
Nichts. Er reitet sich nur tiefer in ein Elend kurz vor dem Grauen, wenn auch für sehr viel Geld. Anders gesagt, einem Unversöhnlichen solchen Kalibers kann man nicht helfen. Weinstein ist sich selbst der größte Feind.
Cleaner
Sie nennt sich Anna. Manchmal tut sie so, als sei sie Journalistin. In Wahrheit ist sie bloß wieder so eine Black-Cube-Cleanerin, die ausgesandt wird, um Harvey Weinsteins Dreck wegzumachen und seine Feinde zu destabilisieren. Hunderttausend US-Dollar zahlt der angeschlagene Großmeister des unabhängigen Kinos dafür jeden Monat, dass ihm Spezialist*innen Luft verschaffen und die Lücken schließen, die er seinen Gegner*innen offeriert hat.
Man kann nicht sagen, dass Weinstein intelligent agiert. Doch noch kann er sich darauf verlassen, dass die Angst seiner Opfer groß genug ist, um seine Fehler korrigierbar erscheinen zu lassen.
„Im Mai 2017 (macht) sich dieselbe Agentin an Rose McGowan heran. Dieses Mal (nennt sie sich) Diana Filip“ und gibt sich als Investment-Bankerin aus. Sie spricht mit deutschem Akzent, benutzt „eine britische Mobilfunknummer und bietet McGowan 60000 US-Dollar für einen“ Vortrag.
Anna-Diana versucht es dann sogar bei Jodi Kantor. Doch die Performance der angeblichen Aktivistin auf dem Hochplateau des Big Business überzeugt Kantor nicht. Die Journalistin reagiert instinktiv ablehnend. Während sie direkt bearbeitet wird, fragen sich Akteure einer Parallelaktion, wie man die Times an die Leine kriegt. Das Gegnersystem wird von allen Seiten angegriffen, ohne dass die Feindlichkeit der Interventionen erkennbar wäre.
Als Bearbeitete schaltet Kantor zu langsam. Das Gesetz des Handelns liegt bei Weinsteins Alpha-Hyänen. Trotzdem gelingt es den Agent*innen des Bösen nicht, Kantor zu de-legitimieren.
Sind diese Leute zu blöd für ihre Jobs?
Alpha-Hyänen
„Untereinander reden wir Frauen schon lange über Harvey, und es ist höchste Zeit, dass dieses Gespräch in aller Öffentlichkeit stattfindet.“ Ashley Judd
Charles Harder kommt ins Spiel. Harder erscheint als ein Mann, der „seinen Teil dazu beizutragen“ wusste, „dass die Klatsch-Webseite Gawker offline gehen musste, indem er sie im Namen von Hulk Hogan bankrott klagte“. Er betritt die Arena mit dem Ruf, „die vielleicht größte Bedrohung für Journalisten, das First Amendment und überhaupt für das Grundverständnis von Pressefreiheit“ in den Vereinigten Staaten zu sein.
Harvey Weinstein setzt Harder zuerst als Joker in einer Konferenzschaltung mit Jodi Kantor und Megan Twohey ein. Die Journalistinnen holen Stellungnahmen zu den gegen Weinstein erhobenen Vorwürfen ein. Sie geben dem Beschuldigten Gelegenheit, sich zu erklären. Weinstein wütet. Zu seinem Nachteil unterbricht er seine Gesprächspartnerinnen und obstruiert die messerscharfen Methoden, der von ihm zu seiner Rettung an Bord geholten White-Collar-Killer.
Es wäre ganz einfach gewesen, die gegen ihn in Stellung gebrachte Ladung unschädlich zu machen. Weinstein hätte einfach nur in der Frist, die ihm zur Beantwortung der Fragen eingeräumt wurde, ein anderes Periodikum mit einer Light-Version beliefern müssen und die Times wäre gelackmeiert gewesen. Ich verstehe nicht, warum Harder seinem Mandanten nicht dazu riet.
Es ist dann Ashley Judd, die den Karren aus dem Dreck der Vergeblichkeit zieht, indem sie ihre Beiträge zur Aufdeckung mit der Preisgabe-Erlaubnis ihres Namens adelt. Sofort sieht alles anders aus. In der Weinstein-Company zweifelt kein Führender daran, dass die Gegenseite im Vorteil ist. Man rät dem bedrängten Bedränger zur öffentlichen Buße. Zeig dich reumütig und therapiewillig, sagen die ewigen Profiteure, die ihre Pole-Positionen und Poolparty-Optionen nicht verlieren wollen.
Weinstein geht lieber zum Angriff über. Er wirbelt Staub auf, wirkt irritierend und da, wo er es noch kann, einschüchternd. Im Grunde gelingt ihm nur ein Coup. Er perforiert das journalistische Verschwiegenheitsgeflecht. Er verlangt die Aufdeckung sämtlicher Quellen. Bis zur unscheinbarsten Textnachricht soll alles seiner Ansicht unterworfen werden.
Eingebetteter Medieninhalt
Kleine Höllen
Die journalistisch inklinierten Spitzenermittlerinnen Megan Twohey und Jodi Kantor hören die gleiche Geschichte in zig Fassungen. Harvey Weinstein setzt Abhängige unter Druck, führt sie in Sackgassen des Gemüts, um sie in kleinen Höllen zu entwürdigenden Handlungen zu veranlassen. In nicht wenigen Fällen sorgt er dafür, dass eine Missbrauchte nicht aus seinem Schatten treten kann. Er hält sie in seiner Herrschaftssphäre und erzeugt ein Klima, dass sein Verhalten normal und das Verhalten der bedrängten Person fragwürdig erscheinen lässt.
Wie ein absolutistischer Herrscher erhebt Weinstein Ansprüche
Von ihm Abhängige werden suggestiv an den Leibeigenen-Modus herangeführt. Schließlich verwahren sie sich in ihren selbstgesprächigen Verteidigungen gegen die absurdesten Anschuldigungen. Sie formulieren in eiligen Vorwegnahmen den hypertrophen Gegnertext in Erwartung aller möglichen (herbeispekulierten) Vorwürfe. Sie staffieren ihr Leben mit Furcht aus.
Betrachten wir die Angelegenheit einen Augenblick unter technischen Gesichtspunkten. Rationalisieren wir. Streben wir zur Simplifikation. Solange ihn das System deckt, lenkt Weinstein einfach nur den Fluss fremder Bedürfnisse in den Kanal einer perversen Praxis. Sein Nimbus und die Maschine dahinter wirken wie eine Honigfalle. Doch dann dreht sich das Rad und Weinstein verliert seine Unverwundbarkeit. Aus dem Jäger wird ein Gejagter.