Ungelüftete Schossgeheimnisse
Viola Stint wurde gerade sitzengelassen. Jetzt sucht sie Trost bei dem angejahrten Muttersöhnchen Aylwin Forbes.
Ein Mann entbindet sich von einem Eheversprechen. Ihrem gebrochenen Herzen verordnet die Sitzengelassene die Kur einer Tagung. Die Unterbringung ist dann erschreckend dürftig, „eine elende Kammer“, eingerichtet für zwei Versprengte, die nichts besseres mit sich anzufangen wissen, als in einem Kreis fremder Leute Interesse an einem Thema weit weg von den eigenen Bedürfnissen zu heucheln.
„Sie hätte niemals hierherkommen dürfen.“
Das erkennt Viola Stint mit den „spitzen Fingern“ eines unbefestigten Snobismus sowie angesichts der Einrichtungstristesse „in einem Mädcheninternat in Derbyshire“, das als Tagungsstätte fungiert.
Barbara Pym, „In feiner Gesellschaft“, Roman, auf Deutsch von Sabine Roth, Dumont, 349 Seiten, 20,-
Zu Viola gesellt sich „eine biedere englische Jungfrau“. Viola erhebt sich leicht über Dulcie Mainwaring. Berechtigt findet sie ihren Stolz auf eine Kombination von britisch-blassem Teint und schwarzen Stoffen in der Manier einer formbewussten Trauersuggestion. Nun entert Aylwin Forbes die Bildfläche. Vorsorglich zieht er eine Flasche Gin „aus den Falten seines (kofferfein verpackten) Schlafanzugs“. Den Koffer könnte die Mutter gepackt haben, zu der sich Aylwin nach einem Ehedesaster in Sicherheit zu bringen die Geistesgegenwart besessen hat. Viola, die ihm einst als Assistentin inbrünstig zuarbeitete, strebt den ungelüfteten Geheimnissen seines Schosses entgegen; jedes Vergnügen verneinend.
„Die Frage ist nicht, ob ich etwas genieße … Mir geht es um ihn.“
Das ich & ihn erscheint kursiv.
Hier noch einmal meine Besprechung von Barbara Pyms Roman „Vortreffliche Frauen“, aus dem Englischen von Sabine Roth, Dumont, 349 Seiten, 22,-
Barbara Pym plaudert hinreißend aus dem Giftschränkchen & Nähkästchen einer Pastorentochter im zerschlagenen London Ende der 1940er Jahre.
Sie hat die Angriffe der deutschen Luftwaffe auf London erlebt. Wenige Jahre nach Kriegsende führt Mildred Lathbury ein Mauerblaukissendasein in der versehrten Kapitale des verdämmernden Empire. Ledig geblieben zu sein, ist ein Makel, dem die nun dreißigjährige Pfarrerstochter den Vorzug gibt. Sie empfindet „die Liebe als etwas Furchtbares“.
Ihrer Eitelkeit gestattet sie wenig. Gewiss könnte niemand noch weniger putzsüchtig sein, doch nutzt Mildred Anlässe, um ein bisschen Staat zu machen.
„Meine Kleidung eine Spur weniger trist.“
Barbara Pym erzählt das so, dass man es sich sehr gut vorstellen kann. Die Selbstdisziplin, die Einsamkeit, die vermodernden Gemeindehauswände, die Gerüche der Armut, die Nachrichten aus den überseeischen Kolonien, die Klatschgesellschaft „vortrefflicher Frauen“ im Dunstkreis der Kirche als ungenügender Trost für ein mit den besten Vorsätzen verfehltes Leben …
The road to hell is paved with good intentions.
Die Nachmittagsfreuden des Tees/
Zeitgenössische Buntglasbläser/ untergegangene Jahrgangsgenossinnen/ Strickereien & Stickereien spielen zusammen in einem Ensemble der Zurückhaltung.
„Also machte ich mich daran, das kleine Gästezimmer herzurichten, stellte eine Vase mit Narzissen auf den Kaminsims und holte die nutzlosen kleinen Gästehandtücher mit der Stickerei heraus.“
Monster der Vitalität
Nicht zurückhaltend sind Mildreds neue, den Erzählanlass stiftende Nachbarn. Diese Monster der Vitalität stoßen die Eingesessene mit unverblümten Meldungen aus der Fäkalsphäre vor den Kopf. Das Gediegene und Getragene ist ihnen fremd. Die Rede ist von der attraktiven Anthropologin Helena und dem charismatischen Offizier Rocky, den Mildred gegen ihren Willen anhimmelt.
Rocky entspricht einem Ideal. Dem Kampf gegen die Deutschen lieh sein Typus das Siegerimage. Man ist sich ziemlich sicher, dass er im Krieg ein Verhältnis mit einer Italienerin hatte.
Rocky schreckt vor nichts zurück. Er geht so weit, Mildred den Hof zu machen. In ihrer stillen Erregung versteigt sie sich zu Vergleichen von verblichenen Gatten mit Teekannen.
Man ersetzt einen Mann „so wie man eine neue Teekanne kauft, wenn einem die alte zerbricht.“
Rocky erkennt den Scharfsinn der Verschmähenden. Er lockt Mildred aus der Reserve und bringt sie aus der Fassung.
Ich bin hingerissen von Pyms Schilderungen post-viktorianischer Szenen im Abendglanz einer Epoche. Plötzlich hebt das Schwungrad des Lebens Mildred hoch. Sie bilanziert:
„Die Männer sind nicht annähernd so arm und hilflos wie wir uns das gern einbilden.“