„Man muss in der Welt, aber nicht von der Welt sein.“ Michel Houellebecq
Houellebecq weist darauf hin, dass weder China noch Indien militärimperialistische Staaten sind. Auch wenn die asiatischen Tiger*innen Amerika demnächst deklassiert haben werden, macht sie das noch nicht zu Römer*innen, die ihr Heil im Krieg suchen.
Die Schlachtfelder der Veränderungen bevölkern „Gewerkschaftsmitglieder, Frauenrechtler*innen, Schlafwagenschaffner*innen (und) LGBTQ-Aktivist*innen“. Oft haben sie nicht mehr als „ein Paar feste Schuhe“ und ein Stück labbrige Pappe. Doch im Kern ihres Kampfes arbeitet der stärkste Motor. Sein Treibstoff ist die Frage:
„Haben wir ein Interesse daran, die amerikanische Realität mit den Idealen des Landes in Einklang zu bringen?“
Obama widerspricht jenen, die es an der Zeit finden, den „Mythos zu entsorgen“; die glauben, der amerikanische Traum sei zu Ende geträumt. Sie konkurrieren mit Akteuren, die in der großen Verheißung immer schon Blendwerk und Missverständnisse zu sehen geneigt waren. Stattdessen sprechen sie von einem „rassistischen Kastensystem und Raubtierkapitalismus“.
Barack Obama, „Ein verheißenes Land“, auf Deutsch von Sylvia Bieker, Harriet Fricke, Stephan Gebauer, Stephan Kleiner, Elke Link, Thorsten Schmidt, Henriette Zeltner-Shane, Penguin Verlag, 42,-
Interessanterweise integriert Obama die Pandemie in seine Idee von einem Marschbefehl der Moderne, nach dem „Gesellschaften (in einer Welt mit „globalen Lieferketten, verzögerungsfreiem Kapitaltransfer und transnationalen Terrorismusnetzwerken“) zwangsläufig kollidieren“.
Hawaiianisches Schlendern
Er nimmt seine Leser*innen mit in die Räume des Weißen Hauses. Obama verrät eine Vorliebe für den „westlichen Säulengang“. Der tägliche Weg ins Büro war ein Walk of Fame & Freedom „an der frischen Luft“, als einer Generalanzeigerin der Normalität „zwischen der ersten Böe des Winterwindes (und dem) ersten Pulsieren der Sommerhitze“. Der Weg führte solange direkt zum Pferdestall, bis Teddy Roosevelts Gestaltungskraft das architektonische First-Family-Ensemble neu definierte.
Der Autor beschreibt seinen Schritt, eine Charakterisierung seiner Frau übernehmend, als „hawaiianisches Schlendern“. Er schlendert dann zu seiner hawaiianischen Kindheit mit erstaunlich hellsichtig ihre Ressourcen bewirtschaftenden Großeltern auf beiden Seiten. Das sind Leute mit einem moralischen Kompass. Schließt der Bürgermeister eines Opas Lieblingskneipe, gibt es kein Verzeihen zu Lebzeiten.
Obama schildert sich als „lustlosen Schüler und leidenschaftlichen Basketballer mit bescheidenem Talent“.
Obama findet Freunde fürs Leben. Ich nenne nur Bobby, Greg und Mike. Man lacht immer noch „stundenlang“ miteinander, weil man so normal geblieben ist; so sehr auf Teppich; so gut geerdet von der großmütterlichen Redlichkeit im Doppelpack.
Bleibt der abwesende Vater als Dauerlücke im Lebenslauf.
„Ideen bedeuten stets mehr als Schlachten.“ Charles Sumner
President Obama sings "Sweet Home Chicago"
Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Irgendwann steigt er zum letzten Mal mit der Air Force One auf. Michelle ist bei ihm, die Stimmung „bittersüß“. Das Paar erlebt sich im Downflow einer energetischen Baisse.
Obama fühlt sich abgespannt und ausgelaugt. Sein Nachfolger erscheint wie die Fleisch gewordene Verhöhnung all dessen, wofür der scheidende Präsident steht.
Auf der Siegeragenda des Verlierers steht loslassen, ausschlafen, uferlos frühstücken und endlich aufhören, in der eigenen Frau vor allem eine Gefährtin im Kampf und bei der Arbeit zu sehen.
Michelle und Barack unternehmen „lange Spaziergänge“. Sie schwimmen im Meer und ziehen Bilanz.
„Wir … entdeckten unsere Liebe neu.“
Sehr schön. Zugleich strebt Obama ein Resümee an. Er listet seine Gewinne unter den Titel:
Du musst dich einer Sache verschreiben, die größer ist als du es bist.
Nur dann kommt der Rock’n’Roll auch zu dir nach Hause. Obama bewundert, was ihm auf Anhieb nicht gelingt: die Knappheit von Lincolns Gettysburg Adress. Viele Zeitgenossen fanden die Rede vom 19. November 1863 anlässlich der Einweihung des Soldatenfriedhofs auf dem Schlachtfeld von Gettysburg haarsträubend unangebracht. Lincoln selbst bezweifelte die positive Aufnahme. Ein Freund aber stellte zeitnah fest:
„Diese Rede, gehalten auf dem Schlachtfeld von Gettysburg und nun geheiligt durch den Märtyrertod ihres Autors, ist eine monumentale Tat. In seiner bescheidenen Art sagte er: ‚Die Welt wird wenig Notiz davon nehmen, noch sich lange an das erinnern, was wir hier sagen, aber sie kann niemals vergessen, was jene hier taten.‘ Er hat sich geirrt. Die Welt nahm sofort Notiz von dem, was er sagte, und sie wird es nie vergessen. Die Schlacht selbst war nicht so wichtig wie die Rede. Ideen bedeuten stets mehr als Schlachten.“ Charles Sumner
Amerika am Abgrund
Obama fliegt eine Gedankenschleife, bevor er zum letzten Flug in der präsidialen Powerblase zurückkehrt. Er skizziert die Lässigkeit in großer Höhe. Lachend spielte man mit den Insignien der Macht unter Ausschluss von allem Unbefugten. Der innerste Kreis, die größte Kraft, der geringste Pomp. Solchen heimlichen Ableitungen nimmt der Autor den Schleier. Er lädt seine Leser*innen zum Schlüssellochblick auf den Glanz vergoldeter Kloschüsseln ein. Dies unter den Vorzeichen der globalen Pandemie, die eben auch das Gleichgewicht der amerikanischen Nation bedroht. Er bedenkt die Corona-Toten, die geschlossenen Geschäfte, die Arbeitslosen … den Schwarzen Widerstand gegen rassistische Polizeigewalt. Er sieht die grundlegenden Übereinkünfte in Frage gestellt.
Er beschreibt eine Verfassungskrise, die nicht neu ist. Vielmehr definiert sie das amerikanische Gedächtnis. Die Proklamation der Gleichheit aller Menschen in einer Sklavenhaltergesellschaft ist der US-amerikanische Grundwiderspruch. Obama zieht die Linie von Appomattox* zu einer Brücke in Selma**.
*Robert E. Lee kapituliert 1865 vor Ulysses S. Grant bei Appomattox.
**„Wir können jemanden jederzeit unwiderruflich ausschalten.“ J. Edgar Hoover im Oval Office-Gespräch mit Lyndon B. Johnson
Montgomery, Alabama, 1955. Die Afroamerikanerin Rosa Parks weigert sich, ihren Platz im Bus einem Weißen zu überlassen. Das führt zu ihrer Festnahme und einem Boykott der Busse. Der schwarze „Busboykott von Montgomery“ startet das Civil Rights Movement. Ein Motor dieser Bewegung ist die „Southern Christian Leadership Conference“ (SCLC). Deren charismatischer Führer, ein Baptistenprediger aus Atlanta, wird 1964 Friedensnobelpreisträger. Mit Mitteln der Bürokratie und der Bedrohung hält das weiße Establishment die Schwarze Bevölkerung von Rechten ab, die von der Verfassung garantiert werden. 1965 konzentriert sich der gewaltfreie Protest auf Selma, Alabama. Hier wurden in der Vergangenheit Versuche afroamerikanischer Bürger, sich als Wähler registrieren zu lassen, von Amts wegen besonders fintenreich obstruiert. Der große weiße Mann vor Ort ist Sheriff Jim Clark – ein Gewalttäter in Uniform und ein Bruder im Geiste von FBI-Chef J. Edgar Hoover.
Ovid sagt: Was nur aus Furcht vor Schande vermieden wird, ist schon getan. Eine Verfassung ohne trügerische Zugaben gibt es nicht, so Seneca. Um den Missstand zu überspielen, setzt man dem Mysterienspiel vom Ursprung alles zu, was ein einnehmender Prospekt braucht. Mit verdummenden Erzählungen und Verlegungen grundgesetzgebender Versammlungen in den Himmel lassen sich geduldige Gläubiger erziehen. Jeder Staat hält wenigstens einen Gott an der Spitze. Weiß der Staat nicht weiter, bemüht er seinen Gott (seine Götter). Cicero: Da bemühen die Tragiker ihre Götter, wo sie den Knoten nicht selbst lösen können.
Aus der Ankündigung
In diesem mit Spannung erwarteten ersten Band seiner Präsidentschaftserinnerungen erzählt Barack Obama die Geschichte seiner unwahrscheinlichen Odyssee vom jungen Mann auf der Suche nach seiner Identität bis hin zum führenden Politiker der freien Welt. In erstaunlich persönlichen Worten beschreibt er seinen politischen Werdegang wie auch die wegweisenden Momente der ersten Amtszeit seiner historischen Präsidentschaft – einer Zeit dramatischer Veränderungen und Turbulenzen.
Obama nimmt die Leser und Leserinnen mit auf eine faszinierende Reise von seinem frühesten politischen Erwachen über den ausschlaggebenden Sieg in den Vorwahlen von Iowa, der die Kraft basisdemokratischer Bewegungen verdeutlichte, hin zur entscheidenden Nacht des 4. Novembers 2008, als er zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde und als erster Afroamerikaner das höchste Staatsamt antreten sollte.
Sein Rückblick auf seine Präsidentschaft bietet eine einzigartige Reflexion über Ausmaß und Grenzen präsidialer Macht und liefert zugleich außergewöhnliche Einblicke in die Dynamik US-amerikanischer Politik und internationaler Diplomatie. Wir begleiten Obama ins Oval Office und in den Situation Room des Weißen Hauses sowie nach Moskau, Kairo, Peking und an viele Orte mehr. Er teilt seine Gedanken über seine Regierungsbildung, das Ringen mit der globalen Finanzkrise, seine Bemühungen, Wladimir Putin einzuschätzen, die Bewältigung scheinbar unüberwindlicher Hindernisse auf dem Weg zur Verabschiedung einer Gesundheitsreform. Er beschreibt, wie er mit US-Generälen über die amerikanische Strategie in Afghanistan aneinandergerät, die Wall Street reformiert, wie er auf das verheerende Leck der Bohrplattform Deepwater Horizon reagiert und die Operation „Neptune’s Spear“ autorisiert, die zum Tode Osama bin Ladens führt.
»Ein verheißenes Land« ist ungewöhnlich intim und introspektiv – die Geschichte eines einzelnen Mannes, der eine Wette mit der Geschichte eingeht, eines community organizer, dessen Ideale auf der Weltbühne auf die Probe gestellt werden. Obama berichtet offen vom Balanceakt, als Schwarzer Amerikaner für das Amt zu kandidieren und damit die Erwartungen einer Generation zu schultern, die Mut aus der Botschaft von „Hoffnung und Wandel“ gewinnt, und was es bedeutet, die moralische Herausforderung anzunehmen, Entscheidungen von großer Tragweite zu treffen. Er spricht freimütig über die Kräfte, die sich ihm im In- und Ausland entgegenstellten, gibt ehrlich Auskunft darüber, wie das Leben im Weißen Haus seine Frau und seine Töchter prägte, und scheut sich nicht, Selbstzweifel und Enttäuschungen offenzulegen. Und doch verliert er nie den Glauben daran, dass innerhalb des großen, andauernden amerikanischen Experiments Fortschritt stets möglich ist.
In diesem wunderbar geschriebenen und eindrücklichen Buch bringt Barack Obama seine Überzeugung zum Ausdruck, dass Demokratie kein Geschenk des Himmels ist, sondern auf Empathie und gegenseitigem Verständnis gründet und Tag für Tag gemeinsam geschaffen werden muss.