MenuMENU

zurück

2021-02-12 06:05:12, Jamal Tuschick

© Jamal Texas Tuschick

Infam heiter

Spiegelverkehrt positiv

Er trägt den Mädchennamen der Mutter. Skeptisch begleitet der Sohn Herta Paula Bernhard in die Ehe mit dem „attraktiven“ Emil Fabjan. Der Mann ist zehn Jahre jünger als die Frau. Sie buhlt um ihn. In einem Wirbel der Umtriebigkeit hält sich Emil selbst den Rücken frei. Das mitgebrachte Kind fühlt sich von der furiosen Hinwendung der Mutter an den Nicht-Vater verraten. Vor dem Volksgerichtshof der üblen Nachrede oszilliert es zwischen Ballast und Bankert. Einer älteren, nun fragwürdigen Leidenschaft dient es als Beweis.

Peter Fabjan legt die Effektspur der indirekten Beleuchtung. Er habe von der „Fürsorge“ der Mutter und der „Robustheit“ seines Vaters profitiert, während der Halbbruder sich von dem Familienprogramm nicht mitgenommen fühlte.

Peter Fabjan, „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard“, Rapport, Suhrkamp, 24,-

Trotzdem beschreibt sich Bernhard privat als „positiven Menschen“. Seine Suaden müsse man „spiegelverkehrt“ auffassen, erklärt er seinem Eckermann, der auch als Leibarzt die verschwiegene Umsicht walten lässt, nach der Bernhard lechzt. Er feiert das Entre nous mit einem Ergebenen. Der Schriftsteller verhehlt im kleinen Kreis seine eigenen Kleinlichkeiten nicht. Er zeigt sich heiter-infam mitunter. Hoch stimmt ihn, sich „durchgesetzt“ zu haben.

*

Man muss sich Bernhard als einen zufriedenen Menschen vorstellen.

„Die Großväter sind die Lehrer, die eigentlichen Philosophen jedes Menschen, sie reißen immer den Vorhang auf, den die andern fortwährend zuziehen.“ Thomas Bernhard

„Im Kampf der Generationen verbünden sich die Enkel mit den Greisen.“ Jean-Paul Sartre

Die abrichtende Spaltung der Mutter

Herta wächst in der fürsorgelosen Dominanz eines Vaters auf, der eine literarische Niederschrift schwerwiegender findet als sämtliche praktischen Belange des Familienlebens. Bernhards Großvater liefert einen Maßstab für künstlerische Rücksichtslosigkeit. Er sondert die Tochter in einem marottenhaften Lebensbetrieb ab. Für dilettantisches Homeschooling zahlt sie mit Schreibschwäche. Unqualifiziert muss sie sich als Haushaltshilfe verdingen. Sie versklavt auch die Erwartung des Vaters, ihren kargen Lohn daheim abzuliefern. Herta wird ledig schwanger. Sie fährt nach Holland, will das werdende Genie abtreiben. Das misslingt. In einem Heim für unverheiratete Gebärende kommt Thomas zur Welt.

Es ist alles schrecklich und das Schreckliche trägt Herta mit sich herum. Sie trägt es aus in ihrem Sohn, der seinerseits nun fürchtet, von „innen zu erfrieren“.

Kolossalgroteske

„Die Co-Piloten der Gesellschaft sind ihre Außenseiter, Intellektuelle, Kranke und Künstler.“

*

Nach eigener Angabe teilt er mit dem Bruder „das Talent zur Analyse und Abstraktion“. Peter Fabjan, der Kür & Pflicht seines Lebens in einem Aktivraum des Bürgerlichen absolvierte, erinnert sich an den berühmten Bruder auf die denkbar seriöseste Weise. Fabjan will für sich nichts herausholen, sich nicht darstellen: das ist schon einmal schön.

Bernhard bestand auch dem Bruder gegenüber auf Distanz. Gleichzeitig räumte er Peter familiäre Rechte ein. Bernhard bestellte Fabjan zu seinem Nachlassverwalter, auch weil der Künstler an dem Soliden dessen Zurückhaltung schätzte. „Er meinte, ich hätte damit eine zweite Karriere. Auf mein Warum antwortete er: Weil dir Geld nicht so wichtig ist.

*

„Persönlichkeiten mit großer suggestiver Kraft können in Zeiten historischer Machtleere und Orientierungslosigkeit Menschen in den Abgrund reißen.“

Es reicht schon, wenn kleinere Lichter in ihren Grandiositätsphantasmen die eigene Familie hinrichten. Man muss gleichmäßig leben können, will man denn Verantwortung tragen. Auch Bernhard wurde der Verantwortung für sein Werk in einem ruhigen Dasein gerecht. Das exaltierte Programm ergab sich in Projektionen. Nicht er, sondern die Normalen gingen strache’esk in die Vollen und gaben Gas. Bernhard protokollierte lediglich den Gestank der Gesellschaftsblähungen.

Der Chronist vermutet bei dem genialen Verwandten eine innere Taubheit.

Aus der Ankündigung

»Du musst das halt in meinem Sinn machen«, trägt Thomas Bernhard seinem Halbbruder Peter Fabjan auf, als er spürt, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Und der sieben Jahre Jüngere gehorcht und übernimmt die Verantwortung, dieses Mal für ein schwieriges Erbe – so wie er es immer getan hat von Jugend an, wenn ihn der Ältere gebraucht hat. Den anderen galt er als »der liebe Bruder«, Fabjan selbst sieht sich eher als »Helfer in der Not«, denn oft genug fand er sich in der Rolle des Chauffeurs und dienstbaren Geistes wieder, der am Nebentisch saß, während der Bruder mit Persönlichkeiten aus Politik und Kunst parlierte.

Peter Fabjan, Bruder und gleichzeitig behandelnder Arzt Thomas Bernhards, gibt in seinen Erinnerungen einen Einblick in das Leben an der Seite, besonders aber auch im Schatten des österreichischen Dramatikers und Romanschriftstellers, der Weltruhm erlangte. Er erzählt von den schwierigen und vielfach belasteten familiären Verhältnissen genauso wie von der Kriegskindheit, von gemeinsamen Reisen in die USA oder nach Portugal und von seinen Bemühungen um das Leben seines von langer und schwerer Krankheit gezeichneten Patienten. Ein offenherziger, freimütiger und ehrlicher Bericht.

Peter Fabjan, geboren 1938 in Traunstein (Bayern), studierte Medizin in Wien und war bis 2001 als Internist tätig. Nach Thomas Bernhards Tod übernahm er die Betreuung des Erbes seines Halbbruders. Er gründete das Thomas Bernhard Archiv, die Thomas-Bernhard-Privatstiftung und die Internationale Thomas Bernhard Gesellschaft, deren Ehrenpräsident er ist. Peter Fabjan lebt in Gmunden (Oberösterreich).