Emil macht aus sich eine Versorgungsmaschine, findet aber keine Gnade vor dem Herrn. Der Schwiegervater, genannt Meister, unterstellt dem Ehemann seiner Tochter eine Schwindelexistenz und ein „Leben aus zweiter Hand“.
Zusammengeschustert/Leben aus zweiter Hand
Der alte Freumbichler mag ein famoser Mundartdichter sein. Noch besser beherrscht er das Schinden seiner ins Geschirr gestellten Angehörigen. Er nutzt nicht allein die Ergebenheit der Tochter, um sozial auf Deck zu bleiben. Gefügig macht er sich auch den eifrigen Autodidakten Emil, der die ledig zur Mutter gewordene Herta wohl auch deshalb heiratete, weil ihm die Modalitäten des Familienanschlusses behagen. Emil bewundert den alten Meister. Er wischt dem Schwiegervater hinterher und lässt ihn profitieren auch von Kriegserlebnissen* auf Korčula, einer kroatischen Insel in der Adria vor Süddalmatien. Der komod daheimgebliebene Freumbichler schlachtet den Landserbericht literarisch aus.
„Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen/ Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,/ Wenn hinten, weit, in der Türkei, Die Völker aufeinander schlagen./ Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus/ Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;/ Dann kehrt man abends froh nach Haus.“ Goethe, Faust 1
„Der Schwiegervater Freumbichler profitiert von den im Fronturlaub wiedergegebenen Erzählungen und schreibt Die Perlenstickerin von Cattaro.“
Peter Fabjan, „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard“, Rapport, Suhrkamp, 24,-
Einfühlender Besen
... und wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen. Volksmund
Der Chronist kehrt mit dem einfühlenden Besen aus der Stammbaumschule. Das 19. Jahrhundert ist ein außerehelich-alpines Rodelrodeo, soweit es Bernhards Ahnen betrifft. Die Kinder lediger Mütter wachsen bei irgendwelchen Großeltern auf und machen dann so weiter wie es die Altvorderen vorgemacht haben.
„Es ist Marias drittes Kind, denn bereits 1866 brachte sie, ebenfalls unehelich, die Tochter Franziska zur Welt, die bei den Großeltern aufwächst. Franziska bleibt zunächst ledig und heiratet eines Tages den Schneider Karl Bernhard, ihren ehemaligen Schwager, der von ihrer Halbschwester Anna geschieden wurde.“
Bürgerlich geht anders.
In der familiären Umgebung von Bernhards Urgroßmüttern reklamiert man gleichwohl eine illustre Abstammung im Dunstkreis napoleonischer Desaster und mit Hinrichtungen quittierter Konspirationen. Von dem Epauletten-Verve ist eine Generation später nichts übrig. Der bis zum Wahnsinn von sich selbt eingenommene Johannes Freumbichler verführt eine verheiratete Frau zur Verachtung des Bewährten. Sie bricht aus ihrer Ehe aus und erleidet als Ausgestoßene das Dasein einer Haushaltshilfe mit weiten Fußwegen. Freumbichler gibt den Spitzweg in der Mansarde. Aus der Tragik einer Verführten schmiedet er sein Romandebüt und wird damit nicht fertig.
„Johannes Freumbichler ist von seiner Berufung als Dichter überzeugt und schreibt unermüdlich an seinem ersten Roman, dem Eheroman Julia Wiedeland, es ist die Geschichte seiner Frau.“
Das Phänomen zieht sich durch die Bereiche. Freumbichler verweigert jede Brotarbeit. Unverheiratet pflanzt er sich fort. Unter anderem entsteht Bernhards Mutter Herta. Als alleingelassenes Kleinkind verursacht sie den Tod eines Bruders im Säuglingsalter.
„Die etwa dreijährige Herta, von den Eltern mit dem Säugling allein gelassen, häuft auf das in einem Gitterbett schreiende Baby so lange Holzscheite, bis das Schreien aufhört. Der Säugling ist tot. Als die Eltern zurückkommen“, gilt die einzige Sorge der Vertuschung.
Spiegelverkehrt positiv
Er trägt den Mädchennamen der Mutter. Skeptisch begleitet der Sohn Herta Paula Bernhard in die Ehe mit dem „attraktiven“ Emil Fabjan. Der Mann ist zehn Jahre jünger als die Frau. Sie buhlt um ihn. In einem Wirbel der Umtriebigkeit hält sich Emil selbst den Rücken frei. Das mitgebrachte Kind fühlt sich von der furiosen Hinwendung der Mutter an den Nicht-Vater verraten. Vor dem Volksgerichtshof der üblen Nachrede oszilliert es zwischen Ballast und Bankert. Einer älteren, nun fragwürdigen Leidenschaft dient es als Beweis.
Peter Fabjan legt die Effektspur der indirekten Beleuchtung. Er habe von der „Fürsorge“ der Mutter und der „Robustheit“ seines Vaters profitiert, während der Halbbruder sich von dem Familienprogramm nicht mitgenommen fühlte.
Trotzdem beschreibt sich Bernhard privat als „positiven Menschen“. Seine Suaden müsse man „spiegelverkehrt“ auffassen, erklärt er seinem Eckermann, der auch als Leibarzt die verschwiegene Umsicht walten lässt, nach der Bernhard lechzt. Er feiert das Entre nous mit einem Ergebenen. Der Schriftsteller verhehlt im kleinen Kreis seine eigenen Kleinlichkeiten nicht. Er zeigt sich heiter-infam mitunter. Hoch stimmt ihn, sich „durchgesetzt“ zu haben.
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Man muss sich Bernhard als einen zufriedenen Menschen vorstellen.
„Die Großväter sind die Lehrer, die eigentlichen Philosophen jedes Menschen, sie reißen immer den Vorhang auf, den die andern fortwährend zuziehen.“ Thomas Bernhard
„Im Kampf der Generationen verbünden sich die Enkel mit den Greisen.“ Jean-Paul Sartre
Die abrichtende Spaltung der Mutter
Herta wächst in der fürsorgelosen Dominanz eines Vaters auf, der eine literarische Niederschrift schwerwiegender findet als sämtliche praktischen Belange des Familienlebens. Bernhards Großvater liefert einen Maßstab für künstlerische Rücksichtslosigkeit. Er sondert die Tochter in einem marottenhaften Lebensbetrieb ab. Für dilettantisches Homeschooling zahlt sie mit Schreibschwäche. Unqualifiziert muss sie sich als Haushaltshilfe verdingen. Sie versklavt auch die Erwartung des Vaters, ihren kargen Lohn daheim abzuliefern. Herta wird ledig schwanger. Sie fährt nach Holland, will das werdende Genie abtreiben. Das misslingt. In einem Heim für unverheiratete Gebärende kommt Thomas zur Welt.
Es ist alles schrecklich und das Schreckliche trägt Herta mit sich herum. Sie trägt es aus in ihrem Sohn, der seinerseits nun fürchtet, von „innen zu erfrieren“.
„Die Co-Piloten der Gesellschaft sind ihre Außenseiter, Intellektuelle, Kranke und Künstler.“
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Nach eigener Angabe teilt er mit dem Bruder „das Talent zur Analyse und Abstraktion“. Peter Fabjan, der Kür & Pflicht seines Lebens in einem Aktivraum des Bürgerlichen absolvierte, erinnert sich an den berühmten Bruder auf die denkbar seriöseste Weise. Fabjan will für sich nichts herausholen, sich nicht darstellen: das ist schon einmal schön.
Bernhard bestand auch dem Bruder gegenüber auf Distanz. Gleichzeitig räumte er Peter familiäre Rechte ein. Bernhard bestellte Fabjan zu seinem Nachlassverwalter, auch weil der Künstler an dem Soliden dessen Zurückhaltung schätzte. „Er meinte, ich hätte damit eine zweite Karriere. Auf mein Warum antwortete er: Weil dir Geld nicht so wichtig ist.“
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„Persönlichkeiten mit großer suggestiver Kraft können in Zeiten historischer Machtleere und Orientierungslosigkeit Menschen in den Abgrund reißen.“
Es reicht schon, wenn kleinere Lichter in ihren Grandiositätsphantasmen die eigene Familie hinrichten. Man muss gleichmäßig leben können, will man denn Verantwortung tragen. Auch Bernhard wurde der Verantwortung für sein Werk in einem ruhigen Dasein gerecht. Das exaltierte Programm ergab sich in Projektionen. Nicht er, sondern die Normalen gingen strache’esk in die Vollen und gaben Gas. Bernhard protokollierte lediglich den Gestank der Gesellschaftsblähungen.
Der Chronist vermutet bei dem genialen Verwandten eine innere Taubheit.
Aus der Ankündigung