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2021-06-06 03:18:22, Jamal Tuschick

Im Zweiten Weltkrieg bemerkten Schwarze Soldaten, dass ihre selbstverständlich weißen Vorgesetzten deutsche Kriegsgefangene besser behandelten als die Schwarzen Waffenbrüder.

Widerstand und Spiritualität

Auf der Suche nach einem Englisch eigener Provenienz, einer vom weißen Herrschaftstext nicht restlos durchdrungenen und verseuchten Sprache, einer emanzipatorischen Sperre vor dem geschundenen Selbst, einem Refugium von Widerständigkeit und Spiritualität, einem Schwarzen Hafen jenseits der Kontinente Henry James, Walt Whitman und William Shakespeare, gelangte James Baldwin (1924-1987) zu den Quellen des Blues in einer Vorhölle des Gospels: den Spirituals. Kurioserweise geschah dies in der Schweiz. Der von Elijah Muhammad (Nation of Islam) umworbene, verhinderte Pfarrer …

Elijah Muhammad sagte: „Alle Weißen sind Teufel“

… kam in der Verfassung eines Debütanten nach Leukerbad im Wallis. Er hatte wenig mehr dabei, als eine Schreibmaschine und zwei Bessie-Smith-Platten. Aus seinen Beobachtungen vierzehnhundert Meter über dem Meeresspiegel in einem auf Fremde, nicht jedoch auf Schwarze Fremde eingestellten Dorf zog Baldwin weitreichende Schlüsse. In den staunenden Europäern erkannte er den Urgrund der amerikanischen Verachtung. Er begriff, dass es möglich war - dass es im XX. Jahrhundert möglich war - dass es nach dem Schwarzen Blutzoll in zwei Weltkriegen möglich war, Schwarze nicht als Menschen zu begreifen. Im Zweiten Weltkrieg bemerkten Schwarze Soldaten, dass ihre selbstverständlich weißen Vorgesetzten deutsche Kriegsgefangene besser behandelten als die Schwarzen Waffenbrüder. Das alles und noch viel mehr veranlasste Baldwin, eine weiße Unschuld anzunehmen. In diesem Kontext sind Weiße außerstande, sich selbst zu reflektieren. Deshalb können sie nicht erwachsen werden. Dazu gleich mehr.

Der Motherless-Child-Komplex

Der frühe Sacro-Pop vokalisierte auf seiner Frontlinie das Sklavenelend und spiegelte da die Herrschaftsverhältnisse, so dass weiße Zuhörer:innen geblendet wurden. Ihnen entging jene doppelte Subversion, die das Genre für Baldwin so brauchbar machte, dass er viele Überschriften diesem Fundus entnahm.

Von rechts: Temye Tesfu, Deniz Utlu und Miriam Mandelkow, die Übersetzerin der jüngsten dtv-Baldwin Ausgabe. In einem Gespräch mit den Nebenstehenden stellte Mandelkow klar, dass sie das von Baldwin politisch eingesetzte N-Wort weder im Passagenvortrag noch in der zitierenden Einlassung zu verwenden bereit ist. Diese Klarheit schafft einen Filter. Jede(r) Weiße, die/der jetzt noch das N-Wort verwendet, ist ein(e)Rassist(in).