MenuMENU

zurück

2021-06-20 06:53:10, Jamal Tuschick

Geht eine Gesellschaft unter oder übergibt sie sich bloß

In der Bulldozerzeit vor der Währungsunion dreht Petra Tschörtner auf den Schauplätzen von „Solo Sunny“ einen Anwohnerfilm. Wieder geht exemplarisch ein Haus hoch. Herbst in Peking singt „We need revolution” auf dem Todesstreifen. An allen Ecken und Ende spricht die Existenzangst. Was soll werden?

© Jamal Tuschick

„Offen für Saus und Braus“

In „Solo Sunny“ spielt Klaus Brasch den erotisch expansiven Saxophonisten Norbert. Mit seinem römischen Feuerkopf sieht er aus wie die Idealbesetzung für einen Dichter. Norbert macht mit einer Truppe Mucke in den Kulturhäusern der DDR. Das Programm heißt „Kunterbunt und immer rund“.

Der amtliche Conférencier emeritiert auf der letzten Rille, er verkörpert den Stillstand. Er schwitzt vor Überlegenheit, sein Witz erinnert an Chancen der Subversion. Die Band nimmt Fühlung mit der Zukunft auf, ihrem Jazzrock fehlt die Sterilität des Ansagers. Das ist auch besonders am letzten Film von Konrad Wolf und der ersten (Co-)Regie von Wolfgang Kohlhaase. „Solo Sunny“ bricht Tabus mit Gesten der Geläufigkeit. So als gäbe es gar nichts, worüber man sich hinwegsetzen muss. Ziemlich zum Schluss wird Sängerin Sunny sogar Selbstmord im Sozialismus für opportun halten.
Die Protagonisten sind privat, der staatliche Einfluss ist ein Rinnsal. Der Film weist seinen Helden Merkmale der Vereinsamung nach, er spielt mit Dekadenzmotiven. Die Trennung von Staat und Person ist vollzogen, das beschreibt ein Scheitern als Volksgemeinschaft.
Der Staat bittet den Bürger in der Gestalt fürsorglicher Beamter, das Radio leiser zu drehen. Mehr Staat spielt in „Solo Sunny“ nicht mit. Norbert weiß schon: Die neue Gesellschaft – „der Kommunarden Traum vom Ich zum Wir“ – wird nicht gelingen. Ein Leistungssportler haut ihn in die vorübergehende Erwerbsunfähigkeit. An seine Stelle tritt der Philosoph am Saxophon. Ralph (Alexander Lang) verwirrt Sängerin Sunny (Renate Krößner) mit seiner verdrehten Art. Er schläft auf einer Tür. Sunny, eigentlich Ingrid, kommt aus der Produktion und hat das Prinzip klare Kante kapiert. „Ist ohne Frühstück und Diskussion“, sagt sie zu einem Liebhaber am grauen Morgen. Sie kennt sich aus: „Weißkohl zieht den Schnaps aus dem Kopf.“
Sunny hält Tauben in ihrem Berliner Kühlschrank. Sie kann gemein sein und sich wehren. Doch aus Ralph wird sie nicht schlau. „Du siehst mich an wie durch ein Fenster“, wirft sie ihm Voyeurismus vor.
Man sieht das Paar auf dem Friedhof an der Heinrich Roller-Straße (im Prenzlauer Berg). Ralph schreibt ein Lied für sie, Sunny sagt: „Deine Füße sehen so zufrieden aus.“
Ralph greift nach ihr im Klappbett und kriegt ein Springmesser zu fassen. Es folgt dieser Wortwechsel:
S.: „Ich wollte dich umbringen.“
R.: „Warum hast du es dann nicht gemacht?“
S.: „Ich bin eingeschlafen.“
*
Ein Haus wird gesprengt, elegisch fällt es in sich zusammen. In diesem Bild scheint der Prenzlauer Berg in die Luft zu fliegen. Der Berg explodiert in Zeitlupe. Seine beschleunigte Zukunft ist überhaupt noch nicht abzusehen.
„Solo Sunny“ hat seine Vorlage im Leben einer Außenseiterin – Sanije Torka. Die Tochter versklavter Krimtataren hätte in Westdeutschland der jungen Ulrike Meinhof als Beispiel für „Bambule“ gefallen. Sanije Torka ging durch die Kinderheimknäste, sie avancierte zu einem Wildfang auf dem hot tin roof der DDR. „Ihr fehlt die Begabung zum Kompromiss“, meldet Alexandra Czok, die 2007 einen Film über Sanije Torka im Gefängnis ihres Aufenthaltsorts drehte.
Czok zitiert Torka und man hört Sunny, als spräche sie über sich in der Dritten Person: „Eigentlich konnte sie nicht singen, aber sie konnte sehr gut so tun, als ob. Sie konnte ausstrahlen. Mit einem hohen Maß an Selbsterkenntnis sagte sie einmal: ‚Ich kam in die Branche, weil ich wollte, nicht weil ich kann.’“
Anders als Sunny ist Sanije Torka keine Ungelernte. Zitiert nach Jutta Voigt (1978): „Ich habe einen Solistenausweis, und dann habe ich jetzt noch ein Leistungshonorar. Weil das Programm, in dem ick mich jetzt befinde, das Spitzenprogramm der DDR ist. Darfst jetzt erfahren, das ist also det Programm mit Andreas Holm, Thomas Lück, Chris Wallasch, und Nina Hagen war vor mir drin.“
Geht eine Gesellschaft unter oder übergibt sie sich bloß
Zehn Jahre sind vergangen. In der Bulldozerzeit vor der Währungsunion dreht Petra Tschörtner auf den Schauplätzen von „Solo Sunny“ einen Anwohnerfilm. Wieder geht exemplarisch ein Haus hoch. „Herbst in Peking“ singt „We need revolution” auf dem Todesstreifen. „Wir brauchen eine Resolution“ würde auch passen. An allen Ecken und Ende spricht die Existenzangst. Was soll werden? Eine Verlobte von Manfred Krug meldet sich mit Gesang. Einschlägig verlobt war sie vierundfünfzig. In einer Freiheit der Rundfunkvertragslosigkeit senden Piraten.
Der Fotograf Harald Hauswald kann sich vorstellen, vom Berg zu steigen. Man sieht den Regisseur Ernst Cantzler. Die Kamera wandert durch Ruinen, sie kehrt ein im „Prater“.
Ein elastischer Greis tanzt. Seine Biografie verspannt das Kaiserreich mit Kohl. Seine Wahrnehmung sieht von dem Großen und Ganzen aber gnädig ab. Knatter-Karl setzt auf das Glück im akuten Winkel. Im „Hackepeter” erregen gestohlene Papageien einen Damenkranz. In einem Bekleidungskombinat erklären Angestellte ihre Produktion für unverkäuflich. Das erklärt dann auch, warum die vietnamesischen Kolleginnen nicht mehr gebraucht werden. Das kommt ganz leise von hinten durch die Faust in die Scheiße.
Im „Wiener Café“ animiert eine rumänische Kapelle mit Straßenmusik das Auditorium. Hausbesetzer träumen von Anarchie in geordneten Bahnen. Ihnen schwebt eine Druckerei vor: zur Verbreitung ihrer Devisen.
Radikale zeigen sich mit dem Hitlergruß an. Schließlich streichelt Frau Ziervogel das erste von ihr im Bratwurstpalais „Konnopke“ eingestrichene Westgeld. À la Recherche du temps perdu kommt der Film in der Bundesrepublik an.
Picknick auf dem Todesstreifen
Westwerbung schleift noch mal die geschliffene Demarkationslinie: „Offen für Saus und Braus“ verlangt sie wie ein Eheversprechen. Drei Männer amüsieren sich auf dem Todesstreifen. Ein Wehrturm der Nationalen Volksarmee fällt wie das Kartenhaus in „Komm in den Garten“ – einem Dokumentarfilm von Heinz Brinkmann und Jochen Wisotzki aus dem Jahr 1990.
Noch sieht die Bernauer Straße aus wie DDR. Abbruch überall. Unter Camel-Schirmen findet auf der Schönhauser Straßenverkauf statt. Ein Mann steht mit Lampen auf dem Bordstein, die Lampen sind aus Garn. Der Mann heißt Michael, er hat in Moskau studiert, wurde relegiert und aus der Kurve getragen. Seine Freunde sind ihm verwandt als Außenseiter. Da ist der Maler Dieter mit seiner Knastkarriere und da ist der Journalist Alfred mit seinen Zwangseinweisungen. Das Ensemble wirkt so unangepasst wie in einem Spielfilm. Man könnte solche Typen nicht erfinden, ohne sich dem Verdacht eines in die erweiterte Gegenwart reichenden Zille-Verschnitts auszusetzen. Jeder erzählt seinen Kampf im hinkenden Vergleich. „Die Geschichte des Trabants ist eigentlich meine Geschichte“, behauptet Alfred. „Der sollte auch immer verbessert werden.“
Michael schwärmt von dem russischen Maler Sascha, der sein Atelier nie verlässt. Er geht baden mit seiner Freundin. Sie will es noch einmal mit ihm versuchen, er muss nur seine Dämonen zurückpfeifen. Dieter erzählt, wie ihn sein Talent in Gefangenschaft vor Schlimmerem bewahrt habe. Er erzählt von Schlimmerem. Sunny hätte gewiss mit Michael, Dieter und Alfred die Nacht verprasst. Kaum zu glauben, dass zwischen "Solo Sunny" und "Komm in den Garten" nur zehn Jahre liegen. Zehn Jahre und eine Utopie.