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bell hooks erkennt patriarchale Appropriation: so weit das analytische Auge reicht.
Sie paraphrasiert Marshall McLuhans “The medium is the message”, indem sie sich als eine Person charakterisiert, die „die Botschaft im Medium“ analysiert. bell hooks begreift sich als Heroldin einer Bewegung, die „Sexismus, sexistische Ausbeutung und Unterdrückung beenden will”.
bell hooks, „Feminismus für alle“, Unrast Verlag, 144 Seiten, 14,-
„Sexismus ist das Problem.”
Der erste Schritt hin zu einem revolutionären Feminismus führt zur Schärfung des Bewusstseins. Aus dieser Einsicht entstanden in einer von der Autorin angenommenen Latenzzeit bewusstseinsbildende Gruppen, in denen Auseinandersetzungen über Strategien „der (politischen) Interventionen und Transformationen” zugunsten einer therapeutischen Praxis vernachlässigt wurden. Gleichzeitig setzten sich im akademischen Diskurs „privilegierte weiße Mittelschichtsfrauen” meinungsführerinnenschaftlich durch. „Radikale Anführerinnen” gerieten ins Hintertreffen, da sich die Massenmedien auf die bourgeoisen „Repräsentantinnen konzentrierten”. Diese Entwicklung bewirkte, dass „Frauen mit einem revolutionären feministischen Bewusstsein” Reichweite und „Sichtbarkeit” verloren. bell hooks spricht von einer „Verdrängung“ der Revolutionärinnen, die sich „endgültig vollzog, sobald sich Frauenstudien an Colleges und Universitäten, diesen konservativen wirtschaftsnahen Strukturen, etablierten“. Mit „karriereopportunistischem“ Kalkül eigneten sich manche Frauen, so bell hooks, „einen feministischen Standpunkt und Jargon an“. Die schwesterliche Konfrontationsarbeit zur Erfassung des „verinnerlichten Sexismus“ in den bewusstseinsbildenden Gruppen verlor in dem entschärfenden Prozess an Bedeutung. Patriarchale Appropriation so weit das analytische Auge reicht.
Aus der Ankündigung
Locker und leicht verständlich, klar und präzise erklärt bell hooks in Feminismus für alle, weshalb es die feministische Bewegung gibt, warum es sie braucht und vor allem, warum sich ihr alle anschließen können und sollten. Denn der Feminismus, für den bell hooks das Wort ergreift, zielt darauf ab, einen ganzheitlichen Wandel herbeizuführen. Um das Leben aller Menschen, unabhängig von Alter oder Geschlecht, nachhaltig zum Besseren zu verändern, müssen alle sexistischen Verhältnisse nachhaltig abgeschafft werden.
Solange sich Frauen, getrieben vom Schönheitswahn, zu Tode hungern, solange Kinder Gewalt ausgesetzt sind, egal welcher Art, weil ihre Eltern einen patriarchalen Erziehungsstil pflegen, solange nicht gleiche Arbeit mit gleichem Lohn bezahlt wird – so lange hat der Feminismus nicht ausgedient. Im Gegenteil: Es gilt, ihn immer wieder neu zu entfachen, zu befeuern und zum Lodern zu bringen!
Mit Feminismus für alle hat bell hooks genau die kompakte Einführung in den Feminismus geschrieben, die sie selbst gerne längst gelesen hätte: Ein Buch, das ein breites Spektrum an Diskussionen auffächert und zahlreiche Impulse liefert, die einer inklusiven, solidarischen feministischen Bewegung – just zur richtigen Zeit – den Rücken zu stärken vermag.
Selbstversorger*innen ohne Sozialversicherung und regelmäßige Einnahmen liefern dem kindlichen Begreifen die Basisbegriffe. Der Garten ist ein Nutzparadies. Sogar Würmer, die als Köder gebraucht werden, unterliegen Zuchtvorgaben. Hühner hält man in illegalen Verschlägen. Man kultiviert Tabak und keltert Trauben aus eigenem Anbau. Butter und Seife entstehen in Heimarbeit. Die Großmutter ist Analphabetin. Für sie sind Gespräche niemals nur Konversation.
„Es wird mit Sorgfalt und Leidenschaft erzählt.“
bell hooks, „Die Bedeutung von Klasse. Warum die Verhältnisse nicht auf Rassismus und Sexismus zu reduzieren sind“, auf Deutsch von Jessica Yawa Agoku, Unrast Verlag
Alles Mögliche erfüllt soziale Funktionen nach den Spielregeln einer verlorenen Zeit, während in der Umgebung eine ganz andere Gegenwart den Ton angibt.
„Ein Wirbel aus Farben erfasst die Sinne“ der Erzählerin im großmütterlichen Garten.
So schildert bell hooks Momente ihrer Kindheit unter der Überschrift „Das Private ist politisch“. Sie beschreibt die zurückgebliebene, in der Eigentümlichkeit starke Motive ausbildende, keinesfalls durchgängig deklassierende Randständigkeit der Familie als primär klassengesellschaftliches Phänomen. Der Vater verachtet die rurale Pittoreske. Bell hooks und ihre Geschwister strapazieren die Mutter, um zu kriegen, was sie wollen.
Weißen Arbeiter*innenkinder vermittelt sich die Klassenfrage in der Gewerkschaftsdiktion. Schwarze Arbeiter*innenkinder lernen in der Kirche, dass sich „im Überfluss oft das Böse verbirgt“. In ihrem Universum sind die reichen Weißen vom Himmelreich ausgeschlossen.
Frauen, die von der Wohlfahrt leben, werden bedauert; nicht weil sie ohne Job sind, sondern weil sie keinen Versorger haben. Im Gegenzug rechnet man Männern die Gefahren ihrer Berufstätigkeit nicht an. Es geht allein um den Verdienst. Der bestimmt den Wert der Männer. Da es auch nach der offiziellen Aufhebung der „Rassentrennung“ so weiterläuft wie zuvor, kommt die heranwachsende bell hooks zu dem Schluss, dass Geld die Schranken zwischen Schwarz und weiß nicht bewegen kann.
Die Schwarze Solidarität scheut das Politische
Doch dann kommt sie nach Stanford und trifft Mittelstandsschwarze mit den Vorurteilen und der Verachtung von Mittelstandsweißen. Geschockt von einem unerwarteten Mangel an Hautfarbensolidarität begreift bell hooks zum ersten Mal die Notwendigkeit der Klassenfrage. Sie beginnt zu ahnen, dass sie mit armen Weißen mehr gemeinsam hat als mit reichen Schwarzen.
Was wäre gewesen wenn?
Wenn O.J. Simpson arm gewesen wäre? Mit diesem Gedankenspiel liefert bell hooks der Augenfälligkeit ein Beispiel. Rassismus und Sexismus wirken wie Schergen der Klassenmacht.
bell hooks erlebt ihre Unsichtbarkeit vor den weitgespannten Horizonten Schwarzer Exzellenz. Academia fordert die Negation der Herkunft als Tribut. Sie straft alles ab, was nach Unterschichtsperformance aussieht. Verlangt wird ein Auftritt, der die Klasse verrät.
„Wie vielen andere Kommiliton*innen aus der Arbeiterklasse war auch ich nicht darauf vorbereitet gewesen, mich im akademischen Bereich der Klassenfrage stellen zu müssen.“
Folgt man Ian Morris, dann gibt es einen Grund für die Schwarze Emanzipation, der mit Aussichten auf eine gerechtere Welt im Zuge der Dekolonialisierung hierarchischer Herzstücke eines Differenzen zum Nachteil von Schwarzen produzierenden Systems (Stuart Hall*) nichts zu tun hat. Morris betrachtet die Bedingungen menschlicher Gemeinschaften in Abhängigkeit von den Quellen, aus denen sie Ersatz schöpfen.
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Rassismus und Sexismus bilden ein Dreieck mit der Klassenfrage. bell hooks zitiert den Soziologen William Julius Wilson, der zuerst erkannte, dass der soziale Joker die ethnische Karte sticht.
*Halls Einfälle drehen sich um Kulturbefehle, die Hierarchien dann noch garantieren, wenn jemand Ethnie oder Kultur statt „Rasse“ sagt. Vermutlich ist es noch nicht mal wichtig, ob in der Verwendung dieser Wörter eine Überzeugung veröffentlicht wird oder ob jemand gerade Kreide frisst.
Hall bezeichnet „Rasse“ als eine „Meisteridee der Klassifizierung“ und als „Herzstück“ einer Herrschaft, die Differenz zu ihrem Vorteil produziert. Jede Gegenformel beweist die Kraft des Rassismus.
Hall zeigt, warum „Rasse“ sich als konfrontative Kategorie nicht einfach selbst in der Ethnizität zum Verschwinden bringt. Er macht klar, wie tradierte Erwartungen (etwa einer geringeren Intelligenz bei Schwarzen) als Barrieren noch in den Überwindungen rassistischer Denk- und Sprechweisen Standfestigkeit beweisen. Hall bleibt da nicht stehen. Er entwickelt einen diasporisch-pluralen Begriff von Identität. Er trifft sich mit Patrick Chamoiseau in der Einschätzung von Folgen im Kolonialstil vernichteter indigener Ökonomien. Es sind die Elendsverweigerer, die den Druck an Europas Schmerzgrenzen aufbauen.