Hassana und ihre Geschwister, darunter die Zwillingsschwester Husseina, verbringen eine idyllisch-urwüchsige Kindheit in der Gegend von Djenné. Die Stadt im Delta zwischen Niger und Bani zählte zu den Hotspots des (in vorislamischer Zeit entstandenen, in der Handlungsgegenwart nicht mehr relevanten) Songhaireiches. Eines Tages überfallen Menschenjäger:innen Hassanas Dorf. Sie ignorieren Familienbanden und beenden die Zwillingssymbiose.
Ayesha Harruna Attah, „Tiefe Wasser zwischen uns“, Roman, aus dem Englischen von Christiane Burkhardt, Diana Verlag, 20,-
Hassanas Muttersprache ist Gourmanchéma (Gurma). Ihre erste Ermächtigung in der Ohnmacht der Sklaverei betrifft die Sprachkompetenz. Sie lernt Englisch neben einem halben Dutzend afrikanischer Sprachen. Die Autorin unterstreicht die Differenz zwischen körperlicher Gebundenheit und geistiger Freiheit. Hassanas Zwillingsschwester Husseina sagt sie bald nach: „Sie konnte schon recht gut Portugiesisch und dachte sogar auf Yoruba, während sie Gourmanchéma, die Sprache der Gurma, inzwischen allenfalls für ganz bestimmte Dinge verwendete, die ihr nur noch mühsam einfielen.“
Bis zu ihrer Verschleppung verstand sich Hassana als „der Savanne“ zugehörig. Der Wald ihrer Unfreiheit schnürt sie ein. Wie Blei lastet die unvertraute Verdichtung auf ihrer Brust und raubt ihr den Atem. Zum Glück wurde ihre ältere Schwester Aminah nicht von ihrer Seite gerissen.
Die Gefangenschaft nimmt Hassana den Appetit. Ihren Besitzer findet sie abstoßend. Wofa Sarpong setzt Kindersklav:innen bei der Kolaernte ein. „Wie Eidechsen“ schlüpfen sie in die Kronen.
Chemisches Echo
In ihren Träumen bleiben Hassana und Husseina magisch verbunden. Husseina erleidet das Schicksal einer transatlantischen Verschiffung.
Von allen Bildern des Grauens, die Joshua Kwesi Aikins in seiner Widerstandspoetik zusammenfasst, ist dies das stärkste: In atlantischen Tiefen lässt sich das chemische Echo einer mörderischen Praxis feststellen. Im Zuge millionenfacher Deportationen afrikanischer Sklav:innen fanden unzählige Hochseemorde statt. Das Meer bestattete sie. Der Tod hallt nach in organischen Prozessen.
Als mythische Konstante des ozeanischen Transfers ging das Echo in die Literatur ein. Ich weiß nicht mehr, wo ich das gelesen habe, aber das Sujet pendelnder freier Schwarzer, die sich vor der Flugzeugära auf den Routen der Sklavenschiffe den Schmerz der Ahnen zwischen den Kontinenten vergegenwärtigen mussten, hat mich schon einmal mitgenommen.
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In Brasilien erscheint Husseina als Vitória Silvina.
Aus der Ankündigung
Ghana 1892: Die Zwillingsschwestern Hassana und Husseina sind zehn Jahre alt, als ihr Dorf von Sklavenhändlern überfallen und niedergebrannt wird, obwohl Sklaverei bereits verboten ist. Dieses traumatische Ereignis ist jedoch nicht das Ende, sondern der Begin n ihrer Geschichte – eine Geschichte, die sie an fremde Orte und in unbekannte Kulturen führen wird. Die Mädchen werden getrennt und entwickeln sich in Brasilien und an der Goldküste Westafrikas zu ganz unterschiedlichen jungen Frauen. Trotz allem verbindet ein unsichtbares Band die Zwillinge, selbst über tiefe blaue Wasser hinweg. Doch wird das Schicksal sie jemals wieder wirklich zusammenführen?
Zur Autorin
Ayesha Harruna Attah wurde in Ghana geboren, studierte in den USA u.a. an der Columbia University und der NYU und lebt heute mit ihrer Familie im Senegal. Ihr Roman »Die Frauen von Salaga« ist von dem Schicksal ihrer Ururgroßmutter inspiriert.