Der Tag wälzt sein Licht wie einen Heuballen über den Hinterhof der Neununddreißig-A. Marlow beobachtet die Balz der Schmetterlinge. Er schließt den Schlauch an, Valerie dankt scheu. Jetzt muss sie nicht mit Kannen zu ihren Beeten.
Wie beeindruckend Jackie Kennedy und Maria Callas für Valerie als Mädchen gewesen waren, erkennt Marlow auch nicht zum ersten Mal. Karolin raucht wie eine Fremde in der Ecke für süchtige Kindergärtnerinnen. (Im Erdgeschoss befindet sich die älteste Kindertagesstätte des Viertels.)
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Auf dem Zaun seines Leichtsinns hockt Marlow vor der Backwarenverkaufsstelle am Friedberger Platz. Vor ihm kollidieren Welten auf einer Wiese. Vermummte kampieren neben Studierenden in Badesachen. Der Sommer kam plötzlich.
Der zugezogene Konvent erhebt sich zum Schwarm, in Bewegung gesetzt von militant vorgefahrenen Diplomat:innenlimousinen. Laufende Zelte auf einer internationalen Umlaufbahn.
Marlow belauscht ein Gespräch über angeschwemmte Leichen. An Urlaubsstränden aus dem Wasser gezogen. Namenlose einer Völkerwanderung, die es nicht geschafft haben, in europäischen Küchen und Kellern dem Wohlstand nah zu enden. Stumm zitiert Marlow Johannes Bobrowski: „Ich mache bloß so ein Schlusspanorama für die zu Ende gehende Epoche der Sesshaftigkeit, welche im Neolithikum bekanntlich anfing, damit die Leute wissen, wie das war.“
Die Zeit gähnt, Marlow entdeckt Valerie. Ihm ist, als sähe sie ihn mit ihren Beinen an, die Knie noch aus der Kindheit aufgeschlagen. Sie badet in einem Gummiboot vor dem Hoodspot. Das Material schraffiert die Haut.
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Marlow sitzt wie ein Blinder im Programmkinoplunder und wundert sich nicht. Nicht über den akkuraten Einzelgänger (Solitär in sportlichem Leder), dessen Anschrift Marlow bei der Mutter vermutet. Nicht über die Frauen mit den zusammengesteckten Köpfen. Nicht über den Schlaffen. Ferner wundert sich Marlow nicht über das Paar, das ergreifend gut in die Gegend passt. Lockere Leute. Doch dann tritt ein schwarzer Hüne im rosa Hemd auf, und neben ihm schwebt ein Fotomodell ein. Wahrscheinlich gibt es kein größeres rosa Hemd auf Erden, es platzt trotzdem gleich.
Die Frau ist so schön, dass Marlow nicht hinsehen kann.
Karolin kommt. Sie hat ein evangelisches Gesicht, eine entfernte Ähnlichkeit mit Georg Büchner, den Sophie-Scholl-Schick und die Brille zur Erinnerung an harte Zeiten. Als die Gemeinen ihren Stil noch verbindlich machen konnten auf dem Schulhof.
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„Wenn es um die Familie geht, kennst du keine Verwandten.“
Der Satz fällt auf einer Kreuzung. Vor Marlow rückt ein Paar wütend zusammen.