Sarah Biasini verlor ihre weltberühmte Mutter so früh, dass sie Romy Schneider in einer Superfiktion identifizieren musste.
Einmal wählt das Kind den Vornamen des Vaters als Anrede und versteht die Aufregung nicht, die das auslöst. Für seine Tochter will Daniel Biasini „nur eine Identität haben, die des Vaters“. Jahre später sieht sie sich selbst außerstande, den Unterschied zwischen der Schauspielerin und ihrer Mutter Romy Schneider in einem öffentlichen Rahmen zu fassen. Warum soll sie erklären müssen, dass ihre lebenslange Trauer das Grab der Weltberühmten auf dem Friedhof von Boissy-sans-Avoir nicht braucht.
Sarah Biasini, „Die Schönheit des Himmels“, auf Deutsch von Theresa Benkert, Zsolnay Verlag, 22,-
Sarah Biasini personalisiert ihre Aufzeichnungen. Sie spricht ihre Tochter bereits an, als Anna (Lefeuvre) noch gar nicht geboren ist. Der Kunstgriffcharakter der Zueignung wirkt schwächer als die dokumentarische Dimension, die sich mit dem Privatissimo-Duktus einstellt. Vermutlich begünstigt der Wunsch die positive Aufnahme, Romy Schneider in der Person ihrer Tochter noch einmal anders zu begegnen. Zweifellos erlebt die Autorin diesen Wunsch als Zumutung. Romy Schneider starb, als Sarah Biasini fünf Jahre alt war. In gewisser Weise ist Sarah Biasini auch nur eine Zuschauerin im Unsterblichkeitskino. Bis über meine Generation hinaus werden die Romy-Schneider-Filme ein Universum bilden, in dem es um Verzweiflung und Stil geht; um Leidenschaft und Missbrauch.
Romy Schneider verwahrte sich effektiv gegen ihre Vereinnahmung. Sie nahm die Rolle nicht an, die ihr in Deutschland angetragen wurde. Sie sollte ein in den Farben des Heimatfilms koloriertes Nazideutschland mit Schönheit rehabilitieren. Romy Schneider emigrierte förmlich nach Frankreich und konturierte da ihre Position so scharf, dass kein Zweifel an ihrer Haltung aufkommen konnte. Das war eine Tat.
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Die nationalsozialistische Ästhetik verlor in der jungen Bundesrepublik ihr martialisches Kleid. Sie ging unerkannt als Unschuld vom Land und langweilte die künftigen Achtundsechziger:innen mit ihrem Kitsch. Kritisches Bewusstsein bedeutete auch, Europa im Kino zu begreifen. Es gab italienische/französische Welt- und deutsche Holzklasse. Niemand wäre auf die Idee gekommen, den Heimatfilm für etwas anderes als eine Regression aka Verlierer:innenreaktion zu halten. In Wahrheit tarnte sich der Faschismus im Heimatfilm mit Harmlosigkeitsbehauptungen. Vordergründig fehlte der NS-Bezug, wie Samuel Salzborn in seiner Analyse „Kollektive Unschuld“ feststellt. Sah man dahinter, sah man alles. „Die völkische Heimatromantik“ behielt ihren dominanten Genrecharakter. Die Idealisierungen boten sich zu „kollektiven Identifizierungen“ an. Sie relativierten nicht nur den Nationalsozialismus, sie transformierten ihn auch. Sie boten ein Deutschland ohne Holocaust. Sie waren Paradeinstrumente der Erinnerungsabwehr und funktionierten als revisionistische Bollwerke. Einer Verdrängungsgemeinschaft gewährten sie Deutungsangebote. Sie trugen dazu bei, dass sich Narrative etablieren konnten, die der deutschen Schuld widersprachen.
Samuel Salzborn, „Kollektive Unschuld. Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“, Hentrich & Hentrich, 130 Seiten, 15,-
„Die Ein- und Ausschlusslinien der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft“ galten weiter. Die Gruppe 47 lieferte dem Heimatfilm einen Komplementärtext. Hans Werner Richter verwies Paul Celans Vortragsstil „in die Synagoge und verglich es mit dem … Singsang von Joseph Goebbels“ (Hans-Peter Kunisch).
Der Antisemitismus brach durch.
Gegen all das war Romy Schneider gefeit. Morgen mehr zu Sarah Biasinis Memoir.
Aus der Ankündigung
Romy Schneiders Tochter erzählt: poetische und intime Einblicke in ihr Leben abseits der Öffentlichkeit
Eine Frau schreibt an ihre neugeborene Tochter. Sie erzählt ihr von ihren Freuden, ihren Leiden, ihren Ängsten und von einer Abwesenden, ihrer eigenen Mutter: der großen und unvergessenen Romy Schneider. Sarah Biasini spürt in ihrem berührenden Buch der Beziehung zu ihrer Mutter nach. Ein poetischer Text, der Fragen aufwirft: Wie wächst man auf, wenn man die Mutter mit vier Jahren verliert? Wie lebt man weiter, wenn einem der Tod so früh so nahekommt? Wie trauert man um eine Mutter, die von der ganzen Welt abgöttisch verehrt wird? Die Antwort findet die Autorin bei sich, bei der Liebe ihrer Familie, ihrer Freunde, bei den Frauen, die ihr die Mutter ersetzt haben. Ein Buch über das Leben, das weitergeht, trotz allem.
Zur Autorin
Sarah Biasini, geboren 1977, die Tochter von Romy Schneider und Daniel Biasini, ist Schauspielerin. Neben dem Theater hat sie eine neue Ausdrucksmöglichkeit für sich entdeckt. Die Schönheit des Himmels ist ihr erstes Buch.