Der Verlag Hentrich & Hentrich liefert wichtigen Debatten der Gegenwart Grundlagen.
Robust sollten sie sein. „Eine harte, starke, gesunde Jugend entsprach ... dem Jugendideal während der Aufbaujahre Israels. Dieses bestimmte die Auswahlkriterien für die Jugend-Alija* mit und war insbesondere für die Auswahl in den DP-Lagern, beispielsweise auf Zypern** nach 1945, ausschlaggebend. In diesen Lagern wurden vor allem die willensstark und gesund erscheinenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen von Vertretern zionistischer Gruppen als besonders geeignet in den Blick genommen.“
Wir reden weiter über den vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegebenen Sammelband „Die jüdische Jugendbewegung. Eine Geschichte von Aufbruch und Erneuerung“, Konzept und Redaktion: Doron Kiesel, Hentrich & Hentrich, 24,90 Euro
Das größte Ding seit Gone with the wind
*Aliyah bedeutet im Hebräischen Aufstieg. Elaboriert man den Begriff, bedeutet Aliyah das Ende der Diaspora und die Heimkehr aus der Zerstreuung. Es gab eine vormoderne Aliyah im osmanischen und post-osmanischen Palästina. Die Restriktionen unterlaufende Einwanderung (zumal im Rahmen der britischen Mandatsmachtausübung) nannte man Aliyah Bet.
**1915 errichteten die Briten auf Zypern in der Gegend von Famagusta ein Kriegsgefangenenlager. Ab August 1946 internierten sie in dem maroden Verhau jüdische Migrant:innen, nachdem sie dazu übergegangen waren, Schiffe aufzubringen. Mit militärischen Mitteln unterbrachen sie Passagen nach Palästina. Bald platzte das Lager aus allen Nähten. Deshalb wurde in Karaolos ein neuer Schauplatz britischen Versagens eröffnet. Auf die Traumatisierten des Holocaust wirkte die Internierung wie noch ein wahr gewordener Albtraum. In London war man peinlich berührt.
Auf dem absteigenden Ast fürchtete das Empire nichts mehr als eine schlechte Presse
Britannia rules no longer the waves. Das Imperium bröckelte, die Zeit der Selbstherrlichkeit endete mit lauter Verlusten. Während Großbritannien die Weltbühne verließ, wussten Aliyah Bet-Agent:innen die Klemme zu nutzen, in der die unterhöhlte Mandatsmacht steckte. Großbritannien wurde mit den gleichen Methoden angegangen, die einst in der Regie von Großbritannien zum Niedergang des Osmanischen Reichs geführt hatten.
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In den Jahrzehnten vor der israelischen Staatsgründung strebten zionistische Jugendbewegungen in Deutschland nach der „Tauglichmachung für die Auswanderung“ in Hachschara-Stätten. Sie erzeugten ein legendäres Bild von widerstandsfähigen und willensstarken Pionier:innen. Der Psychiater Arnold Merzbach (1896–1952) stellte bald fest, dass nicht wenige deutsche Einwander:innen an beiden „Zeithorizonten (auf sich selbst und auf ihre biografische Not zurückgeworfen wurden. Sie pendelten zwischen) Erlebnis- und Erwartungsangst“.
Mikrokosmos der deutschen Geschichte
In seiner 1962 erstmal publizierten Studie über die deutsche Jugendbewegung bezeichnete Walter Laqueur (1921–2018) seinen Forschungsgegenstand als einen „Mikrokosmos der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts“.Das referiert Barbara Stambolis in ihrem Aufsatz „Bewegte Jugend – Jugendbewegung(en) im 20. Jahrhundert: Aspekte deutscher und deutsch-jüdischer Geschichte“. Laqueur beobachtete nach dem II. Weltkrieg, so überliefert es Stambolis „irritiert“ Renaissancen des „jugendbündischen Stils (aus) der Endphase der Weimarer Republik“. Die Propagandist:innen der Zukunft sangen Lieder der Vergangenheit. „Zu ihrem Repertoire gehört(e) „Die grauen Nebel hat das Licht durchdrungen“.
Es gab zionistische Pfadfinder:innen und Wandervögel. Die Heranwachsenden betrieben Gruppenbildung in Vereinen, die Blau-Weiß, Deutsch-jüdischen Wanderbundes Kameraden und Schwarzes Fähnlein hießen. Sie „fühlten sich als Deutsche“ und wähnten sich auf einer Erfahrungshorizontlinie mit allen, „die zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik“ die Kindheitshaut abstreiften.
„Im Frühjahr 1933 … wurde (Walter Laqueur) für einen jüdischen Jugendbund gekeilt, in dem man der Beschreibung nach das Schwarze Fähnlein erkennen kann (was WL später bestätigte). Der Bund war ein Spaltprodukt des 1932 aufgelösten Deutsch-jüdischen Wanderbundes Kameraden, meist wird er mit dem Adjektiv deutsch-national versehen, was nicht falsch ist, aber zugleich auch nicht dessen einzige Bestimmung war.“ Quelle
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Der jugendbewegte Idealismus der post-gründerväterlichen Generationskohorten gab seinen Drive auch an die Kibbuzbewegung ab.
„Ohne den aufopferungsbereiten Idealismus junger jüdischer Frauen und Männer seit der Jahrhundertwende wären die Besiedlung und Urbarmachung der Provinz Palästina im osmanischen Herrschaftsbereich und im gleichnamigen späteren britischen Mandatsgebiet ... nicht möglich gewesen.“
*„Makkabi Hazair-Brith Hazofim (war eine) zionistische Pfadfinderorganisation und eine von vielen jüdischen Jugendgruppen, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Alternative zu den zunehmend antisemitischen deutschen Pfadfindergruppen bildeten. Der Jüdische Pfadfinderbund Makkabi Hatzair entstand 1934 im Zusammenschluss vom Jüdischer Pfadfinderbund und dem Makkabi Hazair.“ Quelle
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Die Verfasser:innen der Beiträge sind Partizipant:innen der Geschichte, die sie memorieren. Zugleich sind sie Schrittmacher:innen der Entwicklungen, die sie referieren.
„Die Geschichte der jüdischen Jugendbewegungen (interpretieren sie) als prägnanten und zugleich ambivalenten Ausdruck des Modernisierungsprozesses mitteleuropäischer Gesellschaften“.
Sämtliche Prozesse kulminieren auf zwei diasporischen Achsen. Auf der Kreuzung treffen sich die Hauptvarianten. Während Doron Kiesels Eltern „den Weg nach Palästina, in den späteren Staat Israel“ fanden, überlebten „Micha Brumliks Eltern die Zeit von 1933 bis 1945 in Europa.“
„Nach der Machtergreifung der Nazis 1933 erstarkten als Antwort auf eine zunehmend feindselige Umwelt jüdische Jugendbewegungen in Deutschland. Viele von ihnen waren zionistisch ausgerichtet – die Jugendlichen setzten sich mit ihrer Zukunft auseinander. Ein wichtiges Ziel war, die Alija (wörtlich „Aufstieg“), die Auswanderung von Juden nach Erez Israel, damals britisches Mandatsgebiet Palästina, zu fördern.“ Quelle
Aus der Ankündigung
Schriftenreihe der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland
Die Erneuerung jüdischen Lebens im späten 19. und 20. Jahrhundert spiegelt sich auch in der jüdischen Jugendbewegung wider, die sich Ende des 19. Jahrhunderts unter dem kulturellen Einfluss der deutschen Wandervogel-Bewegung und der britischen Pfadfinder-Bewegung und vor dem Hintergrund der reformpädagogischen Bewegung in Deutschland und Osteuropa formierte. Ihr Spektrum reichte von politisch weit rechts bis weit links, von zionistisch über „assimilatorisch“ bis hin zu deutschnational, von atheistisch bis zu streng religiös. Die Gruppierungen nannten sich „Haschomer Hazair“, „Kameraden“, „Betar“ und sogar „Vortrupp“ und waren teils dem freien Lebensstil der Wandervögel, teils dem Militarismus der „Bündischen Jugend“ verpflichtet. Diese Vielfalt war spätestens ab 1933 bedroht, 1938 wurden die letzten jüdischen Jugendbünde verboten. Einzelne Gruppen waren bis zuletzt am jüdischen Rettungswiderstand in Deutschland beteiligt. Mit der Einwanderung ins Land Israel gelangten auch die Lebensentwürfe und Überzeugungen der jüdischen Jugendbewegten in das britische Mandatsgebiet Palästina und prägten die politische Kultur des jungen Staates Israel entscheidend mit.
Der Band beleuchtet diese Vielfalt der jüdischen Jugendbewegung entlang verschiedener Gruppierungen und zentraler Akteure, auch mit Fokus auf einzelnen Städten, und gibt Einblicke in die jüdisch-jugendbewegten Anliegen, Aktivitäten und Debatten der 1910er- bis 1930er-Jahre. Dass auch nach 1945 die jüdische Jugendbewegung fortlebte, zeigt ein abschließender Blick auf die Situation im Nachkriegsdeutschland, in der DDR und auf die Jetztzeit
Mit Beiträgen von Doron Kiesel | Barbara Stambolis | Ulrike Kolb | Ulrike Pilarczyk | Marco Kißling | Knut Bergbauer | Jacob Snir | Maria Coors | Regina Scheer | Anke Kalkbrenner | Pava Raibstein | Hans Jakob Ginsburg | Jascha Nemtsov | Dominique Bourel | Micha Brumlik | Gert Mattenklott | Sabine Hering | Lieven Wölk | Lara Dämmig, Sandra Anusiewicz-Baer | Suska Döpp | Moshe Zimmermann | Aron Schuster