Der auf Flaschen gezogene Geist der Dialektik - Der Hegel’sche Zugriff tauge, so Adorno, „die Sache selbst zu begreifen, anstatt sie durch Begriffe bloß zuzurüsten“.
*
Adorno war davon überzeugt, dass konsequentes Denken in jedem Fall eine Begründung der Notwendigkeit von Philosophie sei.
Nicht voraussetzen dürfe man, so sagt es Adorno in einer Verlesung vom 12. 11. 1963, „einen entfalteten Begriff“ von Dialektik. Der Zeitgeist sei der Sache nicht gewogen/gewachsen. Auch will der Lehrende nicht, dass die Lernenden in der Dialektik ein philosophisches Format erkennen, dass zu wählen wäre, um einem Interesse Richtung zu geben, so wie man sich eben für den „Idealismus oder … die Ontologie“ akademisch zu erwärmen die Freiheit besitzt.
Adorno fordert „Ernst und Verbindlichkeit“. Er ruft die Studierenden zu „Gehirnakrobatik“ auf. Er unterscheidet den „mathematischen Moment des Denkens“ von einem „rhetorischen Element“.
Adorno bemerkt, dass die Anfangstexte der neueren Philosophie sich in „heftigen programmatischen Deklarationen“ gegen das „rhetorische Moment“ verwahren.
Theodor W. Adorno, Nachgelassene Schriften. Abteilung IV: Vorlesungen, Band 11: Fragen der Dialektik (1963/64), herausgegeben von Christoph Ziermann, Suhrkamp, 58,-
Adorno wendet sich gegen „eine Art von verantwortungsloser Drauflosdenkerei, die sich an die Sachgehalte, mit denen sie es zu tun hat“, ruchlos vergreift. Der Vordenker pointiert seine Kritik mit der Wendung „free for all“. Doch verortet er jedweden philosophischen Darkroom-, Späti- und Discounter-Text auf einem gemeinsamen Unterstrom mit der Dialektik. Adorno spricht von dem „auf Flaschen gezogen(en) … (Hegel‘schen) Geist der Dialektik“. Hegel habe die Feuerfestigkeit der Dialektik ex negativo bestimmt; indem er behauptete, dass schließlich die korrupteste und heruntergekommenste Form dialektischen Denkens sich „als formale Methode“ auch jenen aufzwinge, die sie gar nicht verstehen.
Aus der Ankündigung
Im Wintersemester 1963/64 hält Theodor W. Adorno an der Frankfurter Universität eine Vorlesung, die zum Glutkern seiner Philosophie führt: der Theorie der Dialektik. In intensiver Auseinandersetzung insbesondere mit Hegel und Marx profiliert er in Fragen der Dialektik seine eigene Konzeption von dialektischer Philosophie als einer radikal nonkonformistischen Denkbewegung, die sich nicht »automatisch einschnappenden Reaktionen« überlässt. Beim Versuch, zu begreifen, was sich dem Begriff entzieht, wählt die Dialektik, so wie Adorno sie versteht, nicht den bequemen Mittelweg, sondern den energischen Widerspruch, den Gang durch die Extreme »der Sache selbst«. Das erlaubt den Blick hinter die Fassade der gesellschaftlichen Wirklichkeit und markiert zugleich den »Weg ins Freie«.
Fragen der Dialektik komplettiert die Reihe der drei Vorlesungen, in denen sich Adorno diesem für ihn so zentralen Thema explizit widmete. 1966 wird er es dann in seinem philosophischen Hauptwerk Negative Dialektik vollends entfalten, zu dessen Verständnis diese nun erstmals vollständig edierte Vorlesung beizutragen vermag. Sie wird ergänzt durch die »Stichworte«, anhand deren Adorno seine Vorlesung frei sprechend hielt, sowie einen ausführlichen Anmerkungsteil, der die zahlreichen Bezugnahmen auf Ereignisse, Personen und Texte nachvollziehbar macht.