Adorno sagt: Brecht lavierte, schraffierte, vernebelte, fintierte. Er habe sich verhalten im Geist mediokrer Vorgaben. Heiner Müller stimmt zu, deutet das Konzept aber anders. Er wäre gern Schüler dieses Meisters gewesen, und hat manchmal seine Geschichte auch so erzählt als wäre er Brecht nahe gekommen.
Adorno bemerkt die „pubertär sich überschlagende Männlichkeit des jungen Brecht ... Ohren, die sich nicht die eigene Differenziertheit austreiben lassen, müssen hören, dass (Brecht) ihnen etwas aufschwatzen will“.
Brecht „wird vergiftet von der Unwahrheit seiner Politik.“ Er agiert nicht als Geburtshelfer einer werdenden Nation unter sozialistischen Vorzeichen, sondern dient einer „Gewaltherrschaft“. Das alles sei abzusehen gewesen, sagt Adorno.
Theodor W. Adorno, „Noten zur Literatur, herausgegeben von Rolf Tiedemann, Suhrkamp
Adorno beobachtet Brecht von der erhöhten Warte des Westens. Er ist Marxist genug, um Brechts Verdikt Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral nicht in Abrede zu stellen. Andererseits weiß der Marxist Brecht, wo er König sein kann. Man stelle ihn sich als Prinzipal eines Theaters vor, in dem Globke als Abonnent auftritt. Adorno lebt in einer Gesellschaft, die sich auf dem Gedächtnistheater selbst exkulpiert. Trotzdem stellt sich die Frage nicht, wer mehr Zugeständnisse an die herrschenden Verhältnisse machen muss.
Adorno widerlegt Brecht nicht einfach nur. Er zerlegt ihn.
Zur Mutter Courage: „Weil die Gesellschaft des Dreißigjährigen Krieges“ nicht vergleichbar ist mit der Gesellschaft, die Brecht zeitgenössisch kritisiert, „kann … poetisch kein geschlossener Funktionszusammenhang stipuliert werden, in dem Leben und Tod der privaten Individuen ohne weiteres durchsichtig würden aufs ökonomische Gesetz.“
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Adorno lobt Sartre für den Satz: „Niemand aber sollte auch nur einen Moment glauben, man könne einen guten Roman zum Lobe des Antisemitismus schreiben.“
„Aber auch keinen zum Lob der Moskauer Prozesse … die politische Unwahrheit befleckt die ästhetische Gestalt“.
Adorno findet sich untröstlich in Anbetracht seiner Unzufriedenheit mit Brecht; einem Dichter, der sich zu verhalten weiß; der laviert, schraffiert, vernebelt, fintiert und nach politischen Opportunitätsgesichtspunkten sich diese und jene „gesellschaftliche Problematik zurechtbiegt“.
„Die Komplexion von handfestem Plot … und destillierbarer Idee (trägt) Sartre den großen Erfolg zu und (macht) ihn, ganz gewiss gegen seinen integren Willen, der Kulturindustrie akzeptabel.“
Sartre suggeriere, „dass auf den sozialen Kommandohöhen noch Leben sei“. Er verwebe „den Schleier der Personalisierung“ mit der Geschichte zur Beruhigung seines Publikums.
Adorno redet leichthin über Sartre (hinweg), den er wohl für einen Verbündeten hält, aber für einen, den man beim Abendessen nicht dabei haben will. Der Franzose ist dem Embonpoint-Aktivisten* zu speckig, zu einfältig, zu populär.
*Einst forderten Studierende den Meister auf, die Kritische Theorie in eine Kritische Praxis zu überführen. Adorno verwies auf seinen Bauch. Er sprach vom Embonpoint. Ein gesetzter Mann reiht sich nicht ein. Der hakt sich nicht unter und schreit nicht rum.
Die Unterhakerei und das ridiküle Mit-der-Jugend-herumhüpfen wirft er Sartre subtil vor.
Aus der Ankündigung
Die »Noten zur Literatur« enthalten — im emphatischen Sinne —Essays. Sie setzen neue Standards der literarischen Kritik und Deutung. Sie geben — z. B. mit den Arbeiten über Hölderlin, Eichendorff, Heine, Balzac, Proust, Valéry — Modelle für ein reflektiertes Verhältnis zur geistigen Vergangenheit und liefern auch Modelle für ein produktives Verhältnis zum Ästhetischen, das immer auch ein Gesellschaftliches ist, etwa mit den Arbeiten über »Lyrik und Gesellschaft«, über »Engagement«, über Becketts »Endspiel«. Alle diese materialen Studien sind nicht nur Vorarbeiten, sondern praktisch Bausteine zu Adornos großer »Ästhetischer Theorie«. Im vierten Teil des Bandes werden diejenigen Aufsätze zusammengefaßt, die Adorno selbst für einen Band »Noten zur Literatur« IV vorgesehen hatte. Der Anhang enthält weitere literarische Aufsätze, die nicht in die »Noten zur Literatur« eingegangen sind.
Zum Autor
Theodor W. Adorno wurde am 11. September 1903 in Frankfurt am Main geboren und starb am 06. August 1969 während eines Ferienaufenthalts in Visp/Wallis an den Folgen eines Herzinfarkts. Von 1921 bis 1923 studierte er in Frankfurt Philosophie, Soziologie, Psychologie und Musikwissenschaft und promovierte 1924 über Die Transzendenz des Dinglichen und Noematischen in Husserls Phänomenologie. Bereits während seiner Schulzeit schloss er Freundschaft mit Siegfried Kracauer und während seines Studiums mit Max Horkheimer und Walter Benjamin. Mit ihnen zählt Adorno zu den wichtigsten Vertretern der »Frankfurter Schule«, die aus dem Institut für Sozialforschung an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt hervorging. Sämtliche Werke Adornos sind im Suhrkamp Verlag erschienen.