„Er tat alles mit so viel Wissen und Vorbereitung, wie er nur aufbringen konnte, aber er wußte, daß schließlich alles von seinem Glück abhing. Und das stimmte ihn zuversichtlich.“ Norman Mailer
„Fahl von Farbe, mutlos, scheu und schüchtern, fordern sie den Angriff heraus in diesem Land, wo jedes menschliche Wesen seinen Marktpreis hat.“ John Hanning Speke
„Die Welt ein Brachfeld. Der einzige Pflüger ich./ Der ewige Traktorist, wie lang ist ewig.“ Heiner Müller, „Traktor“
*
Traktors Porsche steht vor dem Haus, das stimmt Tillmann heiter am Fenster. In ein paar Monaten wird Traktor sich weit hinter Tillmann bei den Nieten einreihen, die Adriane blind gezogen hat. Sein Unglück wird die vergangenen Freuden übersteigen. Das Unglück wird ihn darin bestärken, dass er nur noch für Niederlagen in Frage kommt.
Tillmann streichelt seine Grundig-Tonbandmaschine, gebaut im Jahr von Spinning Wheel als Ghettoblaster für den Mittelstand. Wehmütig betrachtet er den restaurierten TK 147 de Luxe mit automatischer Bandendabschaltung. Traktor heißt so nach seiner Landmaschine. Den ZT 320 hat er als Souvenir aus Brandenburg mitgebracht. Der Traktor steht in einer Remise an der Bornemann Avenue (vormals Glauburgstraße). Da war einmal der Fuhrpark derer v. Holzhausen. Unter dem Grundstück läuft ein Bach, er spült auf nach schwerem Regen. Nachbarn halten deswegen Pumpen in ihrem Bestand.
Traktor lügt aus Überzeugung. Er gibt sogar sein Untergewicht falsch an. Er ist von der Familie in einer Bank deponiert worden. In seinem Porsche fährt Traktor zum Dienst am Empfang. Manchmal spielt er den Ausputzer am Schlagzeug: in Kapellen für den Hotelgebrauch.
Später/Paradoxe Einheit
Tillmann gesellt sich zu Karolin auf den Balkon, Eichhörnchen turnen, im Hof tagen Leute aus der konfessionellen Sozialarbeit, der wilde Wein an einer Brandschutzmauer färbt sich rot, die Sozialarbeiter:innen sind Drogenexpert:innen mit Drogenproblemen, nach Tillmanns Begriffen zählen sie zum Frankfurter Bodensatz in ihrer abstaubenden Lebensart, der vegane Hund des männlichen Steuerberaterpaars gesellt sich zu den Sozialarbeiter:innen ... Tillmann rührt im Kaffeesatz seiner Gedankenträgheit. Karolins breitgesessene Schenkel leuchten ihm weiterhin ein. Gern würde er mit ihr über die zweite Luft reden, ein am Strand aufgeschnapptes Wort. Es verweist angeblich auf die unumstößliche Tatsache, dass in jedem eine Superkraft schlummert, die geweckt werden will.
Als Strand bezeichnen Eingeschweißte den schmalen Streifen vor Khans Kiosk im Glauburg Park.
Tillmann beschließt, gelegentlich wieder einmal Ben E. Kings Supernatural Thing zu hören. Mit solchen Loops bekämpft er seine Angst vor Übertreibungen. Ironie ist ein überholtes Konzept. Trotzdem. Ariane zeigt sich auf dem Hof. Ihr Anblick zerlegt Tillmanns innere Sortiervorrichtung. Es entsteht so etwas wie Papierstau. Tillmann registriert die paradoxe Einheit von Erregung und Ablehnung.
Karolin zitiert Ernst Jandl:
Ottos mops trotzt/ otto: fort mops fort/ ottos mops hopst fort/ otto: soso
Tillmann deutet den Ausflug in den Bildungsgarten als post-ironische Reaktion. Er fühlt sich zurückgepfiffen. Niemals wieder würde er, was er einmal getan. In dem niemals wieder steckt der heiße Wunsch, es wäre nicht einmal geschehen.
Am nächsten Morgen
Der Süße aus der ersten Pressung bekommt ihm nicht, so express nach dem Milchkaffee im Hänschenklein. Das Fenster zum Hof schließt nicht, der Haken rotiert vor dem Nagelkopf. Tillmann hört den Gesang des Keilriemens und die Litanei im Trichter der Apfelmühle. In zu großen Gummistiefeln mühsame Schritte matschen ein Galeerengeräusch. Der König spricht vom Notstand „in der Latrine“. Die Ansprache trieft vor Verachtung für das kleine Licht im Klo der armen Leute. Königlicher Dünnschiss bekäme jederzeit eine Audienz in den gediegenen Verhältnissen des ersten Stocks. Da sagt kein Namensschild den Bewohner an. Dass weiß man, wer da wohnt, es sei denn, man weiß gar nichts.
Die Verachtung kommt aus der Verachtung. Sie regelt den Verkehr im Haus. Das Haus war eine Burg im Mittelalter und heißt so noch frei von Zusätzen. Der erste Burgherr war ein Freiherr von Ulensporn. Ansatzweise überlebte sein Name alle architektonischen und eigentümlichen Neuordnungen. Mochten die nachrückenden Leute schließlich wie Jedermann Schuster oder Ritter nur heißen, sie wohnten doch immer noch in der Eulburg an einer markanten Stelle der nordwärts ausgreifenden Stadt Frankfurt am Main. Schon im frühen 19. Jahrhundert erinnerte nichts mehr an die ursprüngliche Wehrhaftigkeit der Anlage. Alles Vorzügliche oder auch nur Bemerkenswerte wurde ihr immer weiter weggenommen, bis zu dem Tag, an dem auch das Eul als Namensvorteil und Hinweis auf einen alemannischen Landstrich wegfiel. Übrig blieb ein allseits bekannter Kasten mit schrumpeligen Anbauten, geradezu explizit nebensächlich, für manches im Jetzt dieser Geschichte abgestorbenes Handwerk. Übrig blieb eine Gaststätte.
Hello again, viel zu viel Milch war in dem Milchkaffee, den Sabuja Vihreä persönlich geschäumt hat, weil die Frühschicht zu spät. Schon wieder, muss man sagen, noch verquollen vom Feierabend, der vorhin erst zu Ende gegangen war. Das lief auf die Vorformulierung einer Kündigung hinaus, in aller vorsichtiger Vorläufigkeit. Die Finnin trägt einen Panther auf dem Arm.
Wer im Nordend von gestern ist, weiß es. Wenn die Zeit gekommen ist, dann steht Tillmann in der Burgkelter. Das alte Betriebsfleisch, die Erb:innen und Professor:innen und die vor der Rente stehenden Angestellten in ihren besten Jahren wissen das. Ihre Verdrängung nehmen sie kaum wahr. Die Abwärtsbewegungen in der Nachbarschaft haben aber ihre Genauigkeit.
Tillmann schaufelt wieder Äpfel in die Bütte. Die Mühle zerlegt sie seufzend. In dem Geruch der Maische ploppt schon die Hefe. Schon lange kommen keine Leute mehr, um Süßen direkt aus der Kelter zu holen. Selbst für Folklore taugen die Prozesse der Apfelweingewinnung nicht mehr. Die Hände schwitzen in den Haushaltshandschuhen, dem Kollegen Mandelstam kommt der Schwung abhanden. Der Geburtsfrankfurter Mandelstam fühlt sich dem König verwandt. Diese Illusion deutet Tillmann als Herkunftsprodukt aus heimischer Phantasie.
Mandelstam keltert zum ersten Mal, obwohl er schon zehn Jahre im Dienst der Burg steht. Er weiß nicht, was das zu bedeuten hat, aber Tillmann weiß das.
Die Verachtung schoss mit der Muttermilch auf das weiche Ziel des Säuglings. Sie wohnte mit den Leuten zusammen wie Schwamm im Gebälk. Sie saß fest im Sattel der Verhältnisse, die ganz natürlich nach Gärung rochen und nach Fremden, die sich willkommener fühlen sollten als der Sohn. Den Fremden wurde in der Burg eine Unbefangenheit empfohlen, die sich Michael Wundersamen nicht leisten konnte. Die Fallen der Verachtung waren zahlreicher als die Mausefallen in der Burg. Kein Wort davon vor den Gästen. Die Großeltern fielen im Kampf ums gastronomische Dasein, bevor Michael alt genug für die Einschulung und eine abkürzende Amerikanisierung seines Namens war. Mit ihnen verabschiedete sich ein mildes Element. Etwas Mäßigendes. Der Vater fand an seiner Arbeit keinen Gefallen, er verrichtete sie wie einen Frondienst. In seinen öffentlichen Stunden verbarg er sich in dem alten Militärmantel Jovialität. Er musste seine Gäste heimlich verachten. Für sein Amt war er bei Weiten zu ungesellig. Er warf sich vor, einen Versager gezeugt zu haben. Er forderte auch von seiner Frau einen hohen Preis für den geheirateten Wohlstand. Kein Kellner blieb bei ihm. Sein Zustand war die Erbitterung.
Der König isst mit seinen Knechten zu Mittag. Er schmatzt vor Behagen und Unachtsamkeit. Er hat ein Alkoholverbot für das Gesinde ausgesprochen, deshalb trinkt Mandelstam Malzbier. Es steckt Entmündigung darin, der Geschmack eines fremden Willens, der beherzt aufreitet. Für Mandelstam ist das eine Ungerechtigkeit. Er zählt sich zu den Vorgesetzten. Zu seiner Legende gehört die Geschichte von der knapp verpassten Geschäftsführerschaft. Mandelstam war nie als Geschäftsführer vorgesehen, Tillmann weiß das aus erster Hand. Mandelstam ist auf der ganzen Linie ein Knapp-vorbei-Mann. Paula maust als Putzfrau vorbei, Eiterhagen (ein Manish Boy der ersten Stunde) wirft Last ab. Der Greis hantiert am Burgbuffet, der „Kommandobrücke“. Von da hat man „die Welt“ im Blick. Wer mehr für möglich hält, ist ein Spinner. Wahlweise eine Spinnerin.
Über der Burg zieht sich der Himmel dramatisch zusammen. Der König spricht mit Mandelstam über Kühlschränke, der Sonnenuntergang des Abendlandes ist beschlossene Sache im Fleischwolf des gesunden Volksempfindens. So geht es zu in der Welt. Und anders geht es nicht. Die Welt besteht aus einem Schankraum und einem Saal. Sie besteht aus Gängen, Zufahrten, Randzonen, Abstellkammern, Kühltruhen und Katakomben. Tillmann kehrt zurück zu den ungarischen Äpfeln, die nach hessischer Landschaft duften, so abgerundet und weich gezeichnet wie die Wetterau.