MenuMENU

zurück

2022-03-13 08:00:12, Jamal Tuschick

#StandwithUkraine #Pro_Text_Ukraine

Freeze for Freedom

Gisa Paulys Sylt-Saga-Opener „Fräulein Wunder“ ist ein literarischer Schlager mit Suchtfaktor und dem Zeug zum Sommerhit 2022

Elvis Presley statt Rudolf Schock

Bikini ist nicht nur ein verstrahltes Atoll. Vielmehr gehört ein Bikini im Wirtschaftswunderland von 1959 zu den Must-haves jeder statusempfindlichen Sechzehnjährigen. Schreinertochter und Handelsschülerin Brit Heflik kämpft erbittert um das Prestigeobjekt für eine Klassenfahrt. Vater Edward gibt den knorrigen Gegner, während Mutter Frida sich darüber wundert, dass ihre erste elektrische Kaffeemühle der Mühelosigkeit einen weiteren Spielraum verschafft.

„Ein Knopfdruck, und schon ist der Kaffee gemahlen.“

Apropos Wunder. Gisa Paulys Roman „Fräulein Wunder“ spielt nicht nur mit einem Reizwort der Wiederaufbauära, sondern auch mit einem biografischen Detail der Titelheldin, dem Fräulein Wunder. Unter Brits Vorfahren stach die Drechsler-Dynastie Wunder hervor. Brits Vater E. Heflik schaltet und waltet meisterlich in einer Werkstatt, die immer noch als „Schreinerei Wunder“ firmiert.

Gisa Pauly, „Fräulein Wunder“, Sylt-Saga 1, Heyne Verlag, 478 Seiten, 15,-

Auch Brit erscheint Eingesessenen in ihrem Geburtsdorf Riekenbüren als „eine Deern“ aus dem Wunder-Klan, und so ruft ihr ein Geselle nach:

„Oder läuft das Fräulein Wunder schon wieder vor der Arbeit aus der Küche davon.“

Brit schmerzt die ländliche Stille (in der Nähe von Bremen). Sie wünscht sich ein Kofferradio.

*

Gisa Pauly restauriert in ihrer Sylt-Saga Fassaden eines antiken Kulturkampfes. Dessen Streitpunkte und Frontverläufe hypostasieren sich in dem von Pauly exponierten Gegensatzpaar Elvis Presley versus Rudolf Schock. Der Dissens zwischen ‚up to date‘ und gestrig überlagert eine vermiedene Debatte auf der Achse Verdrängung statt Verarbeitung. Repräsentant:innen der Adenauer-Restauration plädieren für Altbewährtes und bis zur Ranzigkeit Überkommenes. Sie wollen „keine Experimente“. Ein Hamburger Restaurantbesitzer löst einen Skandal aus, als er „eine Frau ohne männliche Begleitung“ bewirtet. Über Teenager und sogenannte Halbstarke redet man so, als sei die Pubertät eine amerikanische Erfindung. Ein Hauptsatz des deutschen Spießers lautete: Unter Adolf hätte es das nicht gegeben.

Der Rock’n’Roll-Hüftschwung avanciert zum Dekadenzgipfel. „(Er) treibt der älteren Generation die Sorgenfalten auf die Stirn.“

*

In diesem Klima fühlt sich Brit generell unverstanden. Gleichzeitig stromert sie einigermaßen unbekümmert durch die Gefilde gediegener Ländlichkeit. Sie schwimmt in einem trägen Daseinsstroms, getragen von den Gewissheiten einer in Generationen abgesicherten Zugehörigkeit.

Es gibt echte und falsche Kriegerwitwen in Riekenbüren und Umgebung.

Das harte Dasein jener aus den verlorenen Ostgebieten geflüchteten Familien, deren Ernährer auf das Niveau von Handlangern und Tagelöhnern abgesunken sind, schenkt Brit wenig Beachtung. Die Tragik ihrer Familie erschöpft sich in den, einer Kinderlähmung geschuldeten Handicaps des Vaters. Edward war bereits ein ansehnlicher Heranwachsender mit dem Potential einer Premiumpartie gewesen, als ihn Poliomyelitis aus der Bahn warf, und er sich im Weiteren gezwungen sah, mit der „grauen Maus“ Frida Wunder vorlieb zu nehmen.

*

Nach Sylt fährt Brit dann doch mit ihrem alten Badeanzug im Gepäck. Die Zeit der Selbstbestimmung ist noch nicht angebrochen.

Auf einem Vorhof der Freiheit geschieht das Unerwartete zwischen textilfreiem Baden und einer schicksalhaften Begegnung. Arne Augustin, Sohn eines Hoteliers, spielt im ersten Ansturm auf die Lieblingsinsel der Deutschen den Hotelpagen Arne Düseler. Gleich bei der ersten Begegnung erkennt Arne in Brit die Prachtausgabe einer Braut. Von nun an überschlagen sich die Ereignisse.

Bald mehr.

Aus der Ankündigung

1959. Die sechzehnjährige Brit kann es nicht erwarten, das kleine Kaff Riekenbüren endlich hinter sich zu lassen und die große weite Welt zu erkunden. Erster Stopp: Sylt! Dort verliebt sie sich Hals über Kopf in den Hotelpagen Arne - und verbringt sogar eine Nacht mit ihm. Dass diese Nacht nicht folgenlos bleibt, erfährt Brit erst, als sie zurück in Riekenbüren ist. Die Eltern wollen sie zur Adoption zwingen, Arne hingegen verspricht, Brit zu heiraten und das Kind gemeinsam großzuziehen. Doch dann verschwindet er spurlos. Brit kehrt zurück auf die Insel, auf der die Luft nach Freiheit riecht und das Meer nach Neuanfang klingt - und begibt sich auf die Suche nach dem Vater ihrer Tochter und der Liebe ihres Lebens ...

Gisa Pauly hat zwanzig Jahre lang als Berufsschullehrerin gearbeitet, ehe sie das Unterrichten an den Nagel hängte und sich ganz dem Schreiben widmete. 1994 erschien ihr erstes Buch "Mir langt's - eine Lehrerin steigt aus!", darauf folgten zahlreiche Drehbücher und Romane. Mit den Sylt-Krimis rund um Mamma Carlotta erobert sie Jahr um Jahr die Bestsellerlisten und die Herzen der Leserinnen und Leser. Gisa Pauly zählt heute zu den erfolgreichsten Autorinnen im deutschsprachigen Raum.