Während der Bargfelder Festspiele auf Textland.de, zeigen wir Ihnen Beispiele für anmaßende Nachdichtungen im Geiste des tapferen Schneiderleins. Von jeher verfolgen Autor:innen Ihre Ziele mit der Karl-May-Strategie. Sie flößen sich Stärke wie Lebertran ein. Sie rühmen und applaudieren sich. Sie zeigen sich springlebendig. Sie zücken ein Streichholz und nennt es Excalibur. Vor allem jedoch wählen sie große Gegenstände, Tableaus der Weltgeschichte, Gobelins der Macht. Der Hunger nagt nicht an den Einfällen. In einer surrealistischen Überdrehung fängt alles an zu leuchten und zu blinken.
Amerigo Vespucci und Pero Vaz de Caminha kannten den Nutzen der Schönheit. Sie trennten die Kunst nicht vom Handel. Was ihr Interesse hatte, hatte ihre Intelligenz. Sie setzten in jede Beschäftigung so viel Sorgfalt wie möglich.
Vespucci und Caminha sahen Brasilien, das damals Vera Cruz hieß, bevor der Rummel los ging. Caminha beobachtete „die reichste Stromentwicklung der Welt“. Prächtige Wasserläufe erinnerten ihn an biblische Paradiesschilderungen. Zugleich erkannte er die Bedeutung dieser Straßen für den Welthandel.
Vespucci hatte zwei Jahre vor Caminha an der Amazonasmündung geangelt und dabei Hunderte von Nebenflüssen übersehen, „die dem stolzen Herrscher (Amazonas) ihre Wasser (zuführen), bis er endlich in überwältigender Siegeskraft mit den salzigen Wogen des Atlantiks zu ringen scheint“. (Sibelius Blattschneider)
Lange hielt sich ein Gerücht, das Wasser des Atlantiks sei in Äquatornähe trinkbar. Wo der Amazonas den Atlantik tränkte, da verstand man das Meer nicht mehr.
Vespucci wählte das Wort „Regierungsform“ zum Titel einer ethnologischen Skizze. Die Inder am Amazonas „bilden keine einheitlichen Völkerschaften, sondern lösen sich in Horden auf, die höchsten hundert Familien stark sind. Jede Horde hat einen Kaziken. Selten zählen diese Kleinfürsten ihre Untertanen nach tausenden. Man findet leichter tausend Kaziken als einen Kaziken mit tausend Untertanen.“
Vespuccis Reisebericht inspirierte einen Verwandten namens Niccolò Machiavelli. Auch dessen Kumpel, der Schlachtenmaler Leonardo da Vinci, reagierte auf Vespucci. Die Männer verband gemeinsame Sorgen, da Vinci zeichnete Pläne, nach denen in der Regie von Machiavelli Feinden das Wasser abgegraben werden sollte. Womit wir wieder beim Thema wären: die Bedeutung von Wasser für Wandel und Schwandel.
*
Machiavelli tun die Knie weh. In seinem Arbeitszimmer zieht es. Die Leselampe wirft zu wenig Licht auf den Schreibtisch. Mit besseren Augen könnte er seinen alten Arbeitsplatz im Großen und Ganzen des Palazzo Vecchio erkennen.
Er steckt in der Verbannung, im Hof schreien die Plagen. Frau Machiavelli bringt Wein, sie sucht die Nähe des Denkers. Nach vielen Jahren Ehe und sechs gemeinsamen Kindern wohnt Machiavelli seiner Frau immer noch bei. Der Vorgang regt seine Verstandeskraft an, er ist Empiriker.
Machiavelli liest in den Aufzeichnungen von Vetter Vespucci:
„Der Kazike begnügt sich mit Kleingeld, man kann ihn abspeisen und schäbig halten wie einen Schulmeister. Die Leute knallen ihm Fischreste und seltsame Vögel auf die Fußmatte. Das sind Lieferungen für die königliche Tafel. Immerhin muss er nicht rackern. Man tut und macht für ihn, was sonst im Rahmen der Arbeitsteilung jedem einzelnen obbleibt zu tun.
Man bestellt ihm seinen Acker. Sonst sind die Wilden frei von allen Steuerlasten und Pflichten. Kommt es zum Kampf, kann wiederum ein anderer als der Kazike zum Feldherrn bestimmt werden. Dieser Rang scheint eine Frage der Beredsamkeit zu sein und bedeutet nicht zwangsläufig die Entmachtung des Kaziken.
…
Die Familie des Kaziken bildet den Adel der Horde. Selbst die Spanier bemerken an ihnen eine gewisse wilde Noblesse, die sie bei aller barbarischer Eigenart vor dem niedrigen Volk auszeichnet.“
Machiavelli kratzt sich, das ist nämlich hochinteressant. Der Fürst verlangt wenig und ist den Leuten angenehm bis egal. Er organsiert seiner Sippe Premiumkonditionen, die als Wettbewerbsvorteile in den nächsten Generationen weiterwirken. Ihn qualifiziert eine Befähigung (virtú) zum Nichtstun. So ein Kazike geht spazieren. Er versäumt es nicht, freundlich zu grüßen. Jemand reicht ihm eine Tasse heiße Schokolade, er fragt einen seiner siebenunddreißig Söhne:
„Mein Sohn, welchem Tier gibst du den Vorzug? Dem Fuchs oder dem Löwen?“
Sohn:
„Dem Löwen, Papa, das ist sonnenklar. Der ist viel stärker als ein Fuchs.“
Papa lässt die Fußbank kommen, nimmt Platz im Schatten eines Segels und entgegnet:
„Der Löwe mag stark sein, doch ist das immer schlau?“