„Matti Friedman lässt die düsteren und glorreichen Stunden der Staatsgründung Israels 1948 wieder aufleben, indem er sich auf vier Agentenlehrlinge von Haifa bis Beirut fokussiert. Man kann das heutige Israel nicht verstehen, ohne die Juden muslimischer Länder zu berücksichtigen. Das ist, was Friedman tut. Streng. Brillant.“ Livres Hebdo
“Security will not exist if our nation’s women to not know how to fight.” David Ben-Gurion
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„Denn auf Gott vertrauten wir damals nur mit der Knarre in der Hand.“
Yoram Kaniuk in dem Roman „1948“, erschienen im Aufbau Verlag. Kaniuk erzählt aus eigener Erfahrung vom Einsatz der Palmach-Freiwilligen im israelischen Staatsgründungskrieg.
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Am 15. Mai 1948 griffen sechs arabische Armeen den gerade gegründeten Staat Israel an.
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„Issak hätte sich auch drücken und den jüdischen Staat ... kaum geboren, seiner Vernichtung überlassen können.“
Steckte man jene arabischstämmigen Postmigrant:innen, die bei antisemitischen Umzügen ihren Judenhass herausposaunen, in israelische Uniformen, ergäbe sich kein Momentum der Irritation, solange Schweigen die Verkleideten zierte. In der Frühzeit des israelischen Nachrichtenwesens spielten Akteure der „arabischen Sektion“ auf diesem Klavier. Das waren Wanderer zwischen den Welten. Mizrachim nutzten Chancen doppelter kultureller Auswahl. Mimikry setzten sie als Waffe ein. Sozialisiert in Exklaven arabischer, gleichwohl osmanisch überkronter Mehrheitsgesellschaften, beherrschten sie einen sozialen Spagat. Bis zu einem gewissen Punkt war ihnen die Welt des Feindes so vertraut wie ihre eigene.
Matti Friedman, „Spione ohne Land. Geheime Existenzen bei der Gründung Israels“, auf Deutsch von Tim Schneider, Hentrich & Hentrich, 24.90 Euro
Im Präsens der Pioniere
Vom Leben am Rand und im Schmutzsaum einer drangsalierten Minderheit zur Avantgarde der Chaluzim im Kampf um Eretz Israel
Nichts ist einfach an diesem Anfang. Und doch muss alles einfach sein. Mittellosigkeit bestimmt die Methoden. Daran erinnert sich der aus Aleppo gebürtige Isaac ‚Jizhak‘ Shoshan aka Zaki Shasho aka Adbul Karim Muhammad Sidki im turbulenten Jetzt von Tel Aviv. Der Autor porträtiert das Urgestein der Hagana-Jugend Palmach. Der alte Haudegen bildet als einziger noch Lebender einer verschworenen Gemeinschaft gewissermaßen die Nachhut auf Erden.
Matti Friedman schildert Ereignisse, die sich zwischen Januar 1948 und August 1949 in den Levante-Hotspots Haifa und Beirut zutrugen.
Als Yussef el-Hamed schlängelt sich Isaaks Kampfgenosse Gamliel Cohen, heute geehrt als „one of the fathers of Israeli espionage“ (Wikipedia), durch feindliches Gebiet. Obwohl seine arabische Legende nichts zu wünschen übriglässt, stolpert er von einer Beinah-Enttarnung zur nächsten. Schließlich verhaften ihn die eigenen Leute. Das Missverständnis lässt sich aufklären.
“Was Yakuba Cohen Israel‘s Greatest Spy?“ fragt der Israel Defensive Neuigkeitenbrief
Um Aufklärung geht es, wann immer Gamlief, Isaac, der vormilitärisch in HaNo'ar Ha'Oved VeHaLomed sozialisierte Jacob ‚Yakuba‘ Cohen und Havakuk Cohen ihr Leben in einem Bürgerkrieg aufs Spiel setzen, den die britische Mandatsmacht schon lange überfordert.
Die drei Cohens sind - jedenfalls nicht über die ersten siebzehn Ecken - miteinander verwandt.
Die royale Palästina-Präsenz vollendet das Desaster im Rahmen eines allgemeinen Niedergangs des Empires. Der Staathalter und Hochkommissar Alan Cunningham bläst Trübsal in der historischen Abendstunde. Er vertritt Ideen ohne Zukunft. Er steht für eine verfallende Ordnung. Sein Albtraum ist der Lebenstraum der jungen Pioniere des Zionismus.
Auf dem absteigenden Ast fürchtet die Weltmacht nichts mehr als eine schlechte Presse
Die jüdischen Kombattant:innen wissen, dass die Brit:innen am Ende sind. Den Herrschaften kommt gerade der koloniale Hochmut abhanden. Sie delegitimieren sich täglich, indem sie auf Zypern Leute internieren, die aus Lagern kommen. Sie schlafen schlecht. Die ihrer Aufsicht Unterstellten tragen aber einen Hoffnungskeim in sich, der sie immun macht gegen alle Widrigkeiten.
The Birth of a Nation/Operation Starling
Die Held:innen berufen sich auf Bar Kochba. Sie formulieren einen zeitlosen Plural: So wie wir gegen die Römer gekämpft haben, kämpfen wir nun …
Das Empire bröckelt, die Zeit der Selbstherrlichkeit endet mit lauter Verlusten. Während Großbritannien die Weltbühne verlässt, leiten Palmach-Hebammen die Geburt einer neuen Nation ein. Sie kultivieren den Sabras-Style. Sabras nennen sich „die autochthonen Juden“ - in Israel, das im Akut des Geschehens immer noch eher eine Idee als eine Realität ist; in der jüdischen Geschichte jedoch die Präsenz eines potenten Narrativs besitzt.
Isaak und seine Gefährten stehen unter der Aufsicht bereits feuerfester und bald auch besungener Milizionäre. Da ist Shimon Somekh (Sam‘an) mit seinen britisch-polierten Manieren. Ein ganz anderes Kaliber verkörpert Benny Marshak. Er tritt als Politruk – Politkommissar auf.
“Either way, the return trip would involve taking the adjacent flight of stairs named for Benny Marshak, an officer in the covert Palmach fighting force set up by the Jews of British Mandate Palestine. Marshak participated in the Israeli conquest of Mount Zion on May 18, 1948, and the subsequent entry of Jewish forces into the Old City. The unit was forced to retreat soon afterward when reinforcements failed to arrive.” Quelle
Auch Yoram Kaniuk erwähnt Marshak. Der Autor erinnert aus der Warte eines Adoleszenten einen lärmenden und ungelenken Patron, der schon nach altem Mann müffelt und ranzt.
Die heroische Sicht:
“Benny Marshak, information officer of the Third and Fourth battalions, was a charismatic, invigorating speaker and a sociable guy. Benny can not be pigeon-holed into any the existing models, but since his activity spread through all Palmach units, he won the title of Palmach Politruk.” Quelle
Die Nachwuchsaktivist:innen um Isaak vereiteln aktiv ein Bombenattentat, von dem sie zufällig Wind bekamen. Sie erhalten den Auftrag, einen arabischen Einpeitscher, genannt Nimr - Tiger, zu liquidieren. Der Vorgang wird als „Operation Starling“ historisch.
Mista‘aravim
Das ist alles sehr spannend. Matti Friedman ergreift offensiv Partei. Er formuliert ein grandioses Wir, dass er wie eine Einladung ausspricht.
Die Wegbereiter und Pfadfinder der israelischen Sicherheits- und Nachrichtendienste wählen eine entlegene Selbstzuschreibung. Sie bezeichnen sich als Mista‘aravim.
“Yakuba was the first Jewish activist who actually prayed at Muslim mosques and the first who assimilated into Arab society, having obtained the authentic identity papers of a Muslim Arab. Yakuba assumed the identity of a young Syrian Arab, Jamil Mohammad Rushdi.” Quelle
Die Unterscheidung Mista’aravim kam auf, als Juden, die vor der arabischen Eroberung des Nahen und Mittleren Ostens ebenda lebten, es angezeigt fanden, sich von den (aus Spanien und Portugal ab 1492 zugezogenen) Sephardim abzusetzen.
Aus der Ankündigung
Matti Friedman schreibt die bislang unerzählte Geschichte der geheimnisvollen „Arabischen Sektion“, einer Gruppe jüdisch-arabischer Spione, die im Zweiten Weltkrieg von britischen Spionen und jüdischen Militärführern gegründet wurde. Da sie sich aus Juden zusammensetzte, die aus arabischen Ländern stammten und somit leicht für Araber gehalten werden konnten, war sie dafür auserkoren, geheime Informationen zu sammeln, Sabotageakte und Attentate zu verüben. Als 1948 der erste jüdisch-arabische Krieg ausbrach und große Teile der arabischen Bevölkerung Palästinas vor den Kämpfen flohen, schlossen sich einige Sektionsagenten als Flüchtlinge getarnt diesen an. Sie zogen nach Beirut, wo sie zwei Jahre undercover von einem Kiosk aus operierten und ihre Nachrichten über eine als Wäscheleine getarnte Sendeantenne nach Israel funkten. Während ihrer gefährlichen Arbeit waren sie sich oft nicht sicher, wem sie Bericht erstatteten und manchmal sogar, wer sie selbst geworden waren. Von den zwölf Männern der Einheit zu Beginn des Krieges wurden fünf gefangen und hingerichtet. Aber schließlich wurde ihre Sektion zur Keimzelle des Mossad, Israels Geheimdienst.
Friedman vermittelt überraschende Einblicke in das Wesen des Staates Israel – ein Land, das nach eigenem Selbstverständnis Teil der europäischen Geschichte ist, obgleich mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung aus Ländern des Nahen Ostens stammt. Für alle, die sich für echte Agenten und die Paradoxien des Nahen Ostens interessieren, ist „Spione ohne Land“ eine intime Geschichte von globaler Bedeutung.