Wetterfester Besuch
1959 widmet der SPIEGEL Arno Schmidt eine Titelgeschichte. Man zitiert den Autor mit den Worten „Goethes Prosa ist eine Rumpelkiste“. Da lebt Schmidt schon in Bargfeld; endlich angekommen im eigenen Haus mit Garten und einer, den Schriftsteller ansprechenden Umgebung, die er als „Parklandschaft“ charakterisiert.
Sven Hanuschek, „Arno Schmidt“, Biografie, Hanser, 45,-
„Still und stilvoll“ finden die Schmidts ihre endgültige und endlich auch legendäre Bleibe.
Die Gegend vor der Tür lobt Schmidt über den grünen Klee. Er zeigt sich trickreich und findig bei der Beschaffung des Nötigen. Er beweist handwerkliches Geschick, und bringt erst einmal den Garten auf Vordermann. Sein Biograf memoriert ein britisches Manöver mit Kettenfahrzeugen und Tieffliegern.
Der Bargfelder Bürgermeister Bangemann ist außerdem Postbote und Gastwirt.
Helmut Heißenbüttel und Max Bense inspizieren vor dem Tross Schmidts Hausherrlichkeit.
Mitunter zeltet wetterfester Besuch im Garten.
Teuflischer Ehrgeiz/Vorläufige Geheimschrift
Senioren, die zu Wurst verarbeitet werden; „Dubioseres kriegen die Polarhunde“ - In den Bargfelder Idylle dichtet Schmidt Dystopisches. Er deutet Karl May, sich auch über eine vorläufige Geheimschrift beugend, da Mays im Herbst 1907 entstandene Arbeit „Frau Pollmer, eine psychologische Studie“ noch nicht publiziert ist, als Schmidt in seinem Werk „KAFF auch Mare Crisium“ kryptisch daraus zitiert.
Abergläubische Psychoanalyse und hysterische Misogynie
Jahrzehnte später sezierte der Germanist Heinz Stolte das Beiwerk. Ich zitiere aus seiner Analyse.
May schildert seine erste Ehefrau Emma Pollmer als teuflische Person, getrieben von dem Verlangen, „nach Art der Gottesanbeterin den Gatten … zu verschlingen und zu einem Nichts zu reduzieren“. Der Autor fabuliert seinen eigenen Hexenhammer. Er fusioniert eine abergläubische Psychoanalyse mit schierer Panikrede. Volkstümliche Vorurteile schießen in eine schäumende See des zusammengeschusterten Ressentiments und der Schuldverschiebung.
„Unheimliche Mächte sind in (Emma) wirksam, und (Karl) zählt sie gleich serienweise auf, nämlich Medialität, Magnetismus, Fascination und Jettatura (der böse Blick).“
May entdeckt dem Leser „die verborgene Megäre“. Er rühmt sich seiner Stärke und suggeriert, ein Schwächerer als Old Shatterhand wäre längst zu Boden gegangen.
„Immer wieder bewährt sich die gewaltige, hypnotische Willenskraft der Anima meiner Frau; aber er versichert, daß ich mir die Riesenaufgabe gestellt hatte, den Kampf mit den Pollmerschen Dämonen aufzunehmen.“
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Schmidt sorgt sich, die Studie könne unterschlagen werden im Geist jener politischen Begradigungen, die aus Karl May einen „nationalfrommen“ Simpel machten.
Aus der Ankündigung
Sven Hanuschek legt die erste grundlegende Biografie über Arno Schmidt vor – mit überraschenden Entdeckungen aus dem Nachlass des Schriftstellers
Er stilisierte sich zum Einzelgänger in der Heide, seine Leserschaft versteht sich bis heute als verschworene Gemeinschaft: Und doch hat es Arno Schmidt zum Klassiker der Moderne gebracht. Bis jetzt aber fehlte noch eine grundlegende Biografie, die auch dem umfangreichen Nachlass gerecht wird. Sven Hanuschek hat eine Fülle neuer Quellen ausfindig gemacht, die einen neuen, umfassenden Blick auf Schmidts Persönlichkeit eröffnen, auch wenn sie damit manch vertraute Mythen entzaubern. Und er hilft bei der Orientierung in einem riesenhaften Werk, das zu den Höhepunkten der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts zählt. Nicht nur Arno Schmidts Gemeinde hat schon lange auf eine solche Biografie gewartet.
Zum Autor
Sven Hanuschek, geboren 1964, ist Publizist und Professor am Institut für deutsche Philologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. Zuletzt erschien bei Hanser Elias Canetti (Biografie, 2005), bei Zsolnay Laurel und Hardy (Eine Revision, 2010), außerdem ist er einer der Herausgeber von Elias Canettis Briefen, die 2018 unter dem Titel "Ich erwarte von Ihnen viel" erschienen sind. Er lebt in München.