„Da saß ich nun mit Mitte dreißig als Mutter von vier Kindern und hatte noch nie einen Orgasmus gehabt.“
Sie muss um eine Putzhilfe betteln, obwohl sie das Geld für die Familie verdient; während der Gatte sich ganz dem Tora-Studium widmet. Seine Gelehrsamkeit rangiert turmhoch über allem.
„Yosef kannte sich in unserer Küche gar nicht aus. Er musste mich sogar fragen, wo die Messer waren, wenn er einmal eines brauchte.“
Heimliche Selbständigkeit
Der Ehefrau obliegen alle häuslichen Arbeiten, ohne jeden Prestigegewinn. Das wusste Julia vor ihrer Eheschließung mit einem Ultraorthodoxen. Yosef zeigt sich von Julias Temperament und ihrer heimlichen Selbständigkeit überfordert.
„Nie war ich sittsam genug, nie genügte ich den Anforderungen der Zniut.“
Julia Haart, „Un-Verhüllt. Mein Weg von der ultraorthodoxen Jüdin zur erfolgreichen Modedesignerin“, die Autobiografie des Stars der Netflix-Serie „My Unorthodox Life“, auf Deutsch von Constanze Wehnes, Anja Schünemann, Knaur, 24,-
Trotzdem bleiben die Prozeduren des Alltags, einschließlich des Geschlechtsverkehrs, eine Zumutung im Stil systematischer Zersetzung.
Julia Hendler (geborene Leibov) lebt in einem regen Austausch mit der Nachbarschaft. Mitunter reicht man sich Gewürze durch das Fenster. Julia bewundert die Familie Katz wegen ihrer sechzehn Kinder.
Einerseits möchte sie alle Bedingungen an eine fromme Jüdin erfüllen. Andererseits hält sie die Reglementierungen nicht aus. Julia unterläuft die Erwartungen, indem sie heimlich Versicherungen makelt.
Sie steigt bei der Metropolitan Life Insurance Company ein. Forbes listet MetLife auf Platz 78 der größten börsennotierten Unternehmen. Zum ersten Mal seit ihrer Kindheit in Moskau und Austin öffnen sich für Julia die Schleusen zu der nichtjüdischen Welt. Julia lernt Cold Calling - Kaltakquise, und ist mal wieder die Beste im Team.
Die Eltern ziehen in eine Whopper-Villa, und auch für Julia und ihre Familie stehen Veränderungen an
Inzwischen haben Lina und Michael finanziell ausgesorgt. Julias Eltern beziehen einen repräsentativen Bau nach dem McMansion-Prinzip in die beste Gegend von Monsey.
Auch Yosef und Julia streben eine Highscore-Platzierung an. Sie ziehen nach Atlanta im Bundesstaat Georgia und etablieren sich da in einer modern-orthodoxen Gemeinde. Längst ist der Lack einer hundertprozentig fundamentalistischen Lebensweise ab. Julia guckt sogar Fernsehen, unter dem Schirm der ehemännlichen Erlaubnis.
Vor noch nicht allzu langer Zeit verdammte sie eine - in ihrem Haus eine säkulare Radiosendung hörende - Reinigungskraft als Vernichterin der Heiligkeit ihrer Kinder.
In Atlanta gehen die Uhren anders. Die religiöse Absonderung erweitert ein breiter Transformationssaum. Man kooperiert mit der Mehrheitsgesellschaft, bis hin zu einer „Anomalie“. Infolge einer besonderen Vereinbarung mit der Johns Hopkins Universität gibt es eine weltlich-akademische Anerkennung des talmudischen Abschlusses. Außerdem bemüht man sich offensiv, nicht observante Jüdinnen und Juden zurück in die Gemeinschaft zu holen.
Der Bekehrungseifer richtet sich nie auf Konvertiten, sondern ausschließlich auf die „verlorenen Seelen“ nicht Tora-gerecht lebender Jüdinnen und Juden.
In der Hauptstadt von Coca-Cola und CNN wirkt Julia als eine solide Strenggläubige mit Vorbildcharakter. Ihre größten Fehler, nämlich nicht frum geboren zu sein, und keinen von Geburt an frumen (frummen) Gatten zu haben, dessen religiöse Ausbildung zudem nicht dem höchsten Standard entspricht, fällt in dem Außenposten der Orthodoxie kaum ins Gewicht. Viele Fromme wandern zwischen den Welten.
„Zum ersten Mal in meinem Leben war ich ein Insider, jemand, dem andere nacheiferten.“
Gleichzeitig beginnt sich Julia von der Gemeinschaft behutsam zu lösen. In einem Prozess, der sich über zwölf Jahre hinzieht, setzt sie zunehmend deutlichere Marken ihres Eigensinns, angefangen bei Verstößen gegen die Kleider- und Bücherordnung, über den verpönten, wenn auch nicht direkt verbotenen Konsum mehrheitsgesellschaftlicher Vergnügungsprodukte, bis hin zu Freiheiten, die sie ihren Kindern einräumt.
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„Da saß ich nun mit Mitte dreißig als Mutter von vier Kindern und hatte noch nie einen Orgasmus gehabt.“
In Las Vegas besorgt sie sich ihren ersten Vibrator.
Ein paar Jahre später legt sie ihren Familiennamen ab und baut eine Schuhmarke auf. Sie sucht nach einem neuen Namen.
„In einem Augenblick göttlicher Inspiration entschied ich mich für Haart.“
Religiöser Rigorismus
Ihre ersten Lebensjahre verbringt sie als Tochter eines kommunistischen Funktionärs und einer doppeltpromovierten, intellektuell unschlagbaren, emotional unterkühlten Ingenieurin in der Sowjetunion. Da durchlaufen Julias Eltern einen Prozess der Entfremdung von den herrschenden Verhältnissen, bis zur totalen Abkehr.
Lina und Michael werden zu Renegaten in einem totalitären Regime. Ihre Skalen justieren sie neu nach den Parametern ihrer jüdischen Herkunft. Während Lina aus einer modert-religiösen Familie stammt, verpflichtet den charismatischen Tausendsassa Michael eine chassidische Abstammung zum Rigorismus.
Julias Vater gehört zur Lubawitscher Gemeinschaft.
Zum ersten Mal lernt Julia das Alphabet der Ächtung. Lernen muss sie noch, dass es mehr als eine Sprache des Ausschlusses gibt. In New York wird man ihr zu Last legen, dass sie nicht von Geburt an gläubig war. Als (mühsam heimkehrende) verirrte Seele erlebt Julia in der Ultraorthodoxie Herabsetzungen im Rahmen des Themenkreises Baal Teschuwa.
„Wir leben nämlich in der Epoche des Baal Teschuwa.“ Quelle
Die Familie emigriert nach Amerika und taucht zuerst in Austin, Texas, in eine strikte Gebots- und Verbotswelt ein. Julias Eltern bereiten als geniale Entwicklerinnen der technologischen Zukunft bei IBM den Weg.
“In 1967 it was a big deal that IBM had opened a plant in sleepy Austin. The company became an early catalyst in the city’s transformation into a hub for technology and innovation.” Quelle
In Texas begegnet Julia zum ersten Mal Gläubigen, die eine koschere Küche besitzen, die sie lediglich zu Pessach nutzen.
„In observanten Haushalten werden diese Dinge zu Pessach allerdings nicht nur nicht verzehrt – sie müssen auch vor Beginn des ersten Seders konsumiert oder aus der Wohnung entfernt werden … In der ganzen Wohnung darf sich kein Chametz mehr befinden.“ Quelle
Um (in der säkularen Welt überall lauernden) religiösen Risiken zu entgehen und allen Reinheitsgeboten auf die konsequenteste Weise zu genügen, zieht die Familie nach Monsey in New York City. Zum ersten Mal dominieren religiös-fundamentalistische Spielregeln Julias Alltag. Sie steigt in einen kraftraubenden, die Heranwachsende überfordernden Frömmigkeitswettbewerb ein.
“Fake it till you make it”
Bis zu ihrem zehnten Lebensjahr führt Julia das Leben eines Einzelkindes.
„Meine Mutter hat mich mit einundzwanzig bekommen und meinen jüngsten Bruder mit sechsundvierzig.“
Zu diesem Zeitpunkt ist Julia selbst schon Mutter. Ihre älteste Tochter hat einen Onkel, der jünger ist als sie.
Im ersten Sommer der Perestroika (1987) macht sich Michael selbständig. Er eröffnet ein Büro in der Wäschekammer seines Wohnhauses. Julia nimmt Telefonanrufe wie eine Sekretärin entgegen. Weilt der Vater geschäftlich in Russland, tritt er mit Leibwächtern auf und fährt im gepanzerten Range Rover vor.
Seine Devise lautet: “Fake it till you make it.”
Eines Tages ruft der Präsident von Aserbaidschan an. Der Potentat macht Michael ein Angebot, dass er nicht ausschlagen kann. Im Gegenzug will er nicht mehr als einen Sack voll Unterwäsche von Calvin Klein und ein paar Levis Jeans.
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In dieser Phase ihres Lebens ist für die - von den Furien ihrer Befürchtungen gejagte - Debütantin „die spirituelle Welt so real wie das Sofa in meinem Wohnzimmer“.
Deshalb zweifelt sie nicht daran, dass eine falsche Einstellung der Frau zum Sex ihre Nachkommen in die Verdammnis führen würde. Kinder können nur dann heilig zur Welt kommen, wenn die Mutter vor, während und nach dem Samenerguss ihres Mannes (diesem für sie Abgesandten Gottes auf Erden) Psalme rezitiert. Genuss gehört nicht zum Programm.
„In der Tora gibt es nichts Wichtigeres, als das man heilig zur Welt kommt.“
Das erfährt Julia nicht erst auf den letzten Metern vor ihrer Hochzeit mit dem Tora-Studenten Yosef; doch bläut man es der Verlobten in einer Art Nachhilfeunterricht für angehende Ehefrauen regelrecht ein.
Aus der Ankündigung
Von der verhüllten ultraorthodoxen Jüdin zur Designerin und Unternehmenschefin in New York: Eine mitreißende, wahre Geschichte aus der Welt des ultraorthodoxen Judentums - verfilmt von Netflix
Geboren in eine streng religiöse jüdische Familie und mit 21 verheiratet an einen ultraorthodoxen Juden, kennt Julia Haart die ersten 42 Jahre ihres Lebens nur die Unterwerfung unter die strikten Gebote ihrer Religionsgemeinschaft: Unbedeckte Haare, kurzärmelige T-Shirts, Miniröcke, Bikinis – all dies gilt als Insignien des Teufels.
Und doch ist Julia Haart von Kindesbeinen an fasziniert von der Glitzerwelt der Mode. Als ihre Kinder alt genug sind, beschließt sie, aus ihrem alten Leben auszubrechen – und ihre Leidenschaft für schöne Kleidung zu ihrem neuen Lebensinhalt zu machen. Und das vermeintlich Unmögliche gelingt. Nach der Gründung eines erfolgreichen eigenen Schuhlabels und der Arbeit als Designerin für La Perla gilt Julia Haart heute als eine der bedeutendsten Playerinnen der internationalen Modewelt. In diesem Buch erzählt sie ihre beeindruckende Geschichte.
Von der ultraorthodoxen Jüdin zur Designerin und Unternehmenschefin in New York
Julia Haart gilt als eine der bedeutendsten Playerinnen der internationalen Modewelt. In UN-VERHÜLLT erzählt sie ihre beeindruckende Geschichte: ihren Weg aus der orthodoxen jüdischen Glaubenswelt ins Scheinwerferlicht der Modebranche.
Geboren in eine streng religiöse jüdische Familie und mit 21 verheiratet an einen ultraorthodoxen Juden, kennt Julia Haart die ersten 42 Jahre ihres Lebens nur die Unterwerfung unter die strikten Gebote ihrer Religionsgemeinschaft: Unbedeckte Haare, kurzärmelige T-Shirts, Miniröcke, Bikinis – all dies gilt als Insignien des Teufels. „In der ultraorthodoxen Welt hat Kleidung nur einen Zweck: den Körper zu bedecken, vom Kopf bis Fuß. Punkt. Darüber hinaus irgendeinen Gedanken an sein Äußeres zu verschwenden, ist eine Sünde und eine Beleidigung Gottes“, so Julia Haart. Als ihre jüngere Tochter Miriam unschuldig zu fragen beginnt, warum sie nicht in der Öffentlichkeit singen, in kurzen Hosen laufen oder Fahrrad fahren darf, ohne vom Hals bis zu den Knien bedeckt zu sein, wird Julia Haart klar: Ihre Töchter würden in die gleiche Knechtschaft gezwungen werden, in der sie selbst gefangen ist, wenn sie nicht einen Weg finden würde, die Gemeinschaft zu verlassen.
Von Kindesbeinen an ist Julia Haart fasziniert von der Glitzerwelt der Mode, im Verborgenen beginnt sie, Entwürfe für die Kleidung zu zeichnen, die sie in der Welt jenseits ihres orthodoxen Vororts tragen würde. Als ihre Kinder schließlich alt genug sind, bringt sie den Mut auf, dem Leben, das ihre Seele erdrückt, zu entfliehen – und ihre Leidenschaft für schöne Kleidung zu ihrem neuen Lebensinhalt zu machen. Und das vermeintlich Unmögliche gelingt. Eine Woche nach ihrer Flucht gründet sie ein eigenes Schuhlabel, neun Monate später zeigt sie ihre Entwürfe bei der Pariser Fashion Week. In der Folge wird sie Designerin für La Perla und Miteigentümerin und CEO der Elite World Group, die die Dachorganisation international führender Model Agenturen. 2021 zeigte Netflix die Reality-Serie "My unorthodox life", die das Leben von Julia Haart und ihren erwachsenen Kindern dokumentiert. Staffel 2 ist bereits in Planung.
„Durch ihre ergreifenden Erinnerungen zeigt Julia Haart ihren Leserinnen und Lesern, dass es eher die Reise als das Ziel ist, die uns Erfüllung schenkt. Geschrieben mit großer Intensität und seltener Offenheit ist UN-VERHÜLLT eine Geschichte über die Sehnsucht nach mehr und die Erfüllung dieses Traums. Zutiefst persönlich geschrieben, offenbart das Buch universelle Wahrheiten über die Menschlichkeit und das Frausein.“ Tommy Hilfiger