Ich bin ein „angenommener“ Fleckenstein, ein „Ausrutscher“ meiner Mutter. „Ausrutscher“ sagten alle außer meiner Mutter, solange das ein Thema war. Sie sagte stets etwas anderes, wenn auch nur zu mir; an meiner Bettkante beichtend, bei unserer sacra conversazione. In einem Fluidum, als habe sie mich, gewissermaßen jungfräulich, von einem Alien mit extraterrestrisch-futuristischer Technologie empfangen, und eben nicht von einem Mann, der stets erst sein Schießeisen ablegen musste, bevor er auch nur den Gürtel lösen konnte.
Wirre Kunde von einer beinah jungfräulichen Empfängnis in Eschersheim
Meine glücklich verwitwete Mutter behauptet wenigstens mir gegenüber immer noch, vor vierunddreißig Jahren dem mutmaßlichen CIA-Agenten und Vietnam-Veteranen Wayne The Hawk Raymond in der Batschkapp zu Eschersheim von einem inneren Befehl in die Arme getrieben worden zu sein.
Ja, innerer Befehl. Blabla. Eine Stimme mit absoluter Autorität habe ihr befohlen, den angesoffenen, für seine Wahllosigkeit bekannten Amerikaner für sich einzunehmen und auf beschleunigten Vollzug mehr oder weniger vor Ort zu drängen.
Man will sich die Szene nicht vorstellen und schon gar nicht ausmalen. Ich bin im Nordend, weiß Gott nicht der Einzige, der von diesem Maverick aus Wyoming initiiert wurde. Man kann über Wayne nicht wie über du-und-dich urteilen. Solange er im Saft stand, erschien er vollkommen ungezügelt. Dann gab er den Eremiten in der Menge. Schließlich sah man ihn nur noch trainieren; ein sechzigjähriger trockener Alkoholiker, der auf dem Trottoir neben der Rohrbachstraße Liegestütze machte und seine Handkanten an Lichtmasten abhärtete.
Ich weiß, das ist zum Weglaufen. Vermutlich sehen Sie Wayne so wie ihn mein Zieh- und Nenn-Papa Hannes Der Taucher Fleckenstein sah. Keine Ahnung, wie Papa zu seinem Spitznamen gekommen war. Jedenfalls nicht wegen irgendwelcher Unterwasservorlieben. Papa verkörperte die ausgeschlafene Lebensart des auf der richtigen Mainseite geborenen Frankfurters. Manchmal nannte er sich Hesse, aber das betraf dann auch nur Frankfurt und ein paar Streuobstwiesen in der Wetterau. Papa unterschied von anderen richtigen Frankfurtern, dass er katholisch war.
Sie sehen schon, auf der einen Seite war da dieser diabolische Erzeuger und auf der anderen Seite pfiff sich Papa eins in der hessischen Mundart. Oft standen die beiden nebeneinander in der Stalburg oder in der Gaststätte Frank am Tresen, und übten sich in Schleichbabbelei, mit allen Vorzeichen der solventen Missachtung.
Trotzdem gab es einen markanten Unterschied. Papa verstand das Nordend als sein Latifundium. Er erwartete Anpassung an die Ebbelwoi-Norm und eine freiwillige, eher noch bereitwillige, so denn allen Forderungen vorauseilende und zuvorkommende Unterwerfung jedes Fremden. Wayne träumte mit offenen Augen. Er schlafwandelte im Stehen. Deutschland war nur eine kolonisierte Lichtung. Das Meer der Eingeborenen teilte sich vor dem Somnambulen. Wie Colonel Kurtz in „Apokalypse Now“ hatte Wayne den Horror gesehen, von dem Joseph Conrad spricht, und er hatte einen Grund gefunden, trotzdem auf der Welt zu bleiben.
Seine Rede war eine schleppende Weise. Trat man ihm zu nah, versenkte er sich für einen Augenblick in den Naseweisen, bevor er sich abwandte, verstimmt von dem mediokren Programm eines Normalsterblichen.
Ich erzähle das nur, um Ihnen klarzumachen, dass ich meiner Mutter durchaus in ihren Verirrungen Richtung legendärer Empfängnis folgen konnte.
Bei meiner Zeugung sei eine kosmische Anziehungskraft im Spiel gewesen, die meine damals kaum drei Monate verheiratete Mutter vom Hocker riss und alles zum Erliegen brachte, was man ihr beigebracht hatte. Nach einem kurzen Sternenschauer wollte sie aber nur noch zurück in die Gediegenheit jener Verhältnisse, die sie geheiratet hatte.
Meine Mutter rühmte den dunklen Humor des Mannes, dem ich als leiblicher Sohn untergeschoben werden sollte. Ich kann mich an keinen Augenblick erinnern, in dem ich mich nicht vollends als sein Sohn gefühlt hätte. Doch heimlich genoss ich es, die Gene eines Wilden in die Zukunft zu tragen.