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2023-05-03 08:31:19, Jamal

Calm in a burning building

Sehen Sie auch hier und hier.

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„Es kommt nur immer darauf an … dass derjenige, von dem wir lernen wollen, unserer Natur gemäß (ist).“ Goethe zu Eckermann 1825

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„In der Erinnerung blühen die Bilder mit der Macht ihrer Abwesenheit.“ Heiner Müller

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„D‘rauf machte Jakob sich ans Thor: ‚Marsch! Packe dich zum Teufel!‘ - ‚Was? schrie Frau Schnips ihm laut ins Ohr, Fickfacker! Ich zum Teufel?‘“ „Frau Schnips“, Gottfried August Bürger über die Himmelfahrt einer Lebenslustigen

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“Kyokushin Karate is not a game. It is not a sport. It is not even a system of self-defense. Kyokushin Karate is half physical exercise and half spiritual. The karateka who has given the necessary years of exercise and meditation is a tranquil person. He is unafraid. He can even be calm in a burning building.” Ōyama Masutatsu

© Jamal Tuschick

Die Stasi verhaftete auch im Ausland

Bei einem Treffen des Weltbundes der Demokratischen Jugend (WBDJ) gerät der auf DDR-Literatur spezialisierte Germanist und durchdrungene Sozialist Till Teichmann in das Visier der Staatssicherheit. Seine Anwerbung erweist sich als Kinderspiel. Erzählt man die Geschichte andersherum, geht sie so: In den 1980er Jahren infiltriert der CIA-Agent TT den DDR-Kulturbetrieb. Teichmann ist der leibliche Sohn einer IRA-Killerin und eines NSA-Agenten. Marian O’Reilly und Wayne Raymond berührten sich nur in einem Frankfurter Augenblick. Marian war damals mit dem Sponti-Beau und Chef in spe des Hauses Teichmann liiert. Bei einem Schusswechsel fand sie den Tod. Der millionenschwere Salonkommunist … Dazu bald mehr.

1986 - In der Hauptstadt der DDR

Türen schwingen auf oder drehen durch. In Gassen zum Alexanderplatz finden Dramen statt. Jeder Blick könnte zum ersten Wort eines Romans werden. Inge sagt: „Manchmal wünscht man sich einen Schließmuskel im Ohr.“
Sie spricht verächtlich von der biografischen Buchhaltung (der Autobiografie) einer Kollegin. Die hauptamtliche Stasi-Mitarbeiterin, leidenschaftliche Tschekistin und promovierte Psychologin, unterwandert gemeinsam mit ihrem Ehemann Klaus, genannt ‚Nico‘, die Pankower Kunst- und Kulturszene. Das Ehepaar I. und K. Schneider, wohnhaft in der Dimitroffstraße, unterhält einen der exklusivsten Ostberliner Salons.

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Eine Sächsin zeigt mir ihr Berlin. In der Rückerklause am Rosenthaler Platz hängen Jungen und Mädchen aus allen mitteldeutschen Provinzen ab. Sie haben das Nachtasyl im Blut. In Berlin klumpen sie sich zu einem Haufen und saufen. Sie sind auf Trebe und machen Platte, obwohl es das in der DDR gar nicht gibt. Doch gibt es da nomadische Zustände und eine Poesie für Stromer:innen aus Passion. Oft sind sie Heimen entsprungen und bis zur Flucht vom Gruppendruck der Schlafsäle unsanft erzogen worden.

„Du musst mir glauben, wenn ich zu dir sage, dass ich dich liebe“, verlangt Inge mit neuer Eindringlichkeit. „Es ist alles nicht so einfach wie du dir das.“ (An dieser Stelle bricht der Satz ab.)

Inge zeigt mir einen Mann im Tumult und sagt: „Das ist der Sascha.“

Sascha steht kurz vor dem „Land-Wechsel“, ein Heiner-Müller-Wort, das 1986 bereits antiquiert ist. Das weiß selbst Inge noch nicht.

In der Dimitroffstraße

Inge, Nico und ich reden über Halluzinogene und kommen auf Pilze. Erste Europäer:innen in Amerika hatten dafür das Wort „Chose diabolique“. Später hieß es „Les Champignons hallucinogènes du Mexique“.

Ich versorge die DDR-Kunst-Crème de la Crème unter anderem mit Psilocybe mexicana und der passenden Lektüre. Die Leute wundern sich über Navajo-Rauschempfindungen so lange, bis sie Carlos Castaneda gelesen haben. Inges Rede rotiert in einer Trommel der Skepsis. Nico fasst sich bekräftigend an den Kopf. Die beiden sind ideologisch kugelfest und wasserdicht. Am liebsten würden sie die DDR mit der Waffe in der Hand gegen westliche Dekadenz verteidigen.

Nach seiner Schneider-Legende lehrt Nico an der Humboldt-Universität. Bis zu seiner Mission arbeitete er in Hohenschönhausen. Das Gefängnis war ursprünglich eine Großküche. Man findet es auf keinem Stadtplan. In dem Hohenschönhausener Labyrinth residiert Markus Wolfs Computer-Abteilung, die realsozialistische Version von Q‘s Labor. Im kriminaltechnischen Institut des Ministeriums für Staatssicherheit in der Genslerstraße 13 baut man für Entführungsaktionen schalldichte Zellen in Autos (Westfabrikate) ein.   

Die Stasi verhaftet auch im Ausland.   

Quartiermacher für die Staatssicherheit der DDR war das NKGB. Dieses Institut der engagierten Rechtspflege nimmt Maß am ersten sowjetischen Geheimdienst. Die deutschen Verbündeten werden seit den 1950er Jahren mit dem „Tscheka“-Terrorstil vertraut gemacht. „Tscheka“ steht für „Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage“. Gegründet wurde der Staatssicherheitsdienst 1917. Es ging den Tschekisten in der Unmittelbarkeit der Nachkriegszeit nicht nur darum, Geständnisse zu erpressen, die Geständnisse mussten in jedem Fall unterschrieben werden. Sie produzierten Gulag-Absolventen. Die Signatur unter einer druckvoll zustande gekommenen Zugabe ist eine Manie bis heute, ob es sich nun um Mondraub handelt oder um das Versenden einer Flaschenpost.

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) betrieb das NKWD bis 1950 zehn Speziallager und drei „Innere“ Gefängnisse. Zum Standort Hohenschönhausen gehörte das Speziallager 3 in der Genslerstraße und ein Haftarbeitslager, das später vom MfS als Lager X deklariert und 1974 aufgelöst wurde. Bis 1948 kamen vor Ort in sowjetischer Regie tausend Häftlinge ums Leben.  

Die Eingekerkerten landeten im sogenannten U-Boot in ewiger Kellernacht. Tageszeiten wurden zur Desorientierung ausgeblendet. Die „Deutsche Lubjanka“ war so feucht, dass die Haare schimmelten. Die Gefangenen verbrachten ihren Arrest in den Sachen vom Tag der Verhaftung. Es gab keine Anstaltskleidung, keine medizinische Versorgung und unter verschärften Umständen nicht einmal den Fäkalienkübel. Man folterte legal nach dem Recht der Sieger. Zellen wurden unter Wasser gesetzt. Man quälte die Eingesperrten außerdem mit Überbelegung, Stehzwang, Schlafentzug, Hunger, Hitze, Kälte, Helligkeit und Dunkelheit. Mit Stalins Tod endete die Ära physischer Folter in der offiziellen Lesart.

Ab 1959 errichteten X-Häftlinge einen Trakt für 300 Häftlinge gleich neben der Küchenkatakombe. Der Neubau entstand unter dem Titel „Objekterweiterung“.  Er stellte über 100 Zellen und 120 Vernehmungszimmer bereit. 1962 war er bezugsfertig.

1951 übernahm das Ministerium für Staatssicherheit Hohenschönhausen hauptsächlich als Untersuchungsgefängnis. Abtrünnige Stasi-Mitarbeiter büßen auch nach den Urteilsverkündungen in dieser Anstalt. Weibliche Häftlinge arbeiten in der Küche.  

Die Vernehmer sind Psychologen im Offiziersrang. Im Grunde dienen sie dem Außenhandel, sie sorgen für Devisen, indem sie Geständnisse produzieren, die zu langen Haftstrafen führen und von der Bundesrepublik im Freikaufmodus abgekürzt werden.

Wer in solchen Verhältnissen klarkommt, ist hartgesotten. Für Inge und Nico gehören die Härten zum Klassenkampf. Mich halten sie lediglich für einen nützlichen Schwärmer.