Ihr Englisch geht wie ein Niederschlag über die Bühne. Hiam Abbass setzt die Fremdsprache als Brechmittel ein. Sie ist ein Feuer und eine Welt - israelisch und arabisch. Im Berliner Maxim Gorki Theater erscheint sie wie ein Punk Babylons. Sie spielt die mesopotamische Metze Nour: a second-generation whore; schon im Mutterleib der Prostitution versprochen, als Beifang eines herrschaftlichen Vergnügens. Die Mutter war vom Land in einen städtischen Haushalt gekommen, der Hausherr sprach sogar mit ihr. Das entzückte sie. Sie hatte kein Wort für nein. Sich bereit zu finden, ging schon beinah über ihr Vermögen, siedelt doch jede Bereitschaft zumindest in der Nähe eines Willensaktes. Es ist wieder Dattelzeit. Als Deglet an-nour findet man die Vorweihnachtsklebrigkeiten in Supermarktkassennähe. Nour, nicht noire - Nūr, Noor, Nour, der Monolog, dem Hiam Abbass ihre Größe leiht, stammt von Rachid Benzine, einem Repräsentanten des liberalen Islam. Er nennt seine militant rauchende Kammerspielprinzessin in „The Eyes Of Heaven“ Licht, geboren in Schande. Als der Fehltritt des Hausherrn sichtbar wurde, musste Nours Mutter ihre Sachen packen. Ihr Besitz war das Kümmerlichste, was sich denken lässt, etwas Tabak und ein Kamm. Sie fand Aufnahme bei einer vorausschauenden Witwe, die puffmütterlich in ihre Zukunft investierte, indem sie den Nachwuchs begrüßte. Nun ist Nour selbst Mutter. Ihre Tochter besucht eine Privatschule, wir müssen nicht darüber reden, was das kostet. Auf der Straße wird geschossen, Nours Apartment, ein Sessel deutet die Häuslichkeit an, bietet der Paranoia Raum im Arabischen Frühling. Nour erwartet ihren wichtigsten Klienten, den Gouverneur. Er verspätet sich sonst nie. Auch ein Islamist besucht sie regelmäßig. Darin erschöpft sich seine Rolle im Stück nicht. Nour nimmt einen cock salute nach dem nächsten entgegen, jeder Hahnengruß verdient sich seine Verachtung anders. Ihre Liebe gehört allein dem invertierten “Sexarbeiter” Salemane, der auf eine neutrale Berufsbezeichnung Wert legt. Zurzeit redet er sich im Radio um Kopf und Kragen. Nour sorgt sich, vor der Tür nimmt die Repression Fahrt auf. Ich kann gar nicht sagen, wie großartig ich Hiam Abbass finde. Ihr Vortrag würzt den sentimentalen Fettrand des Textes bis zur Genießbarkeit. Immerhin liegt ein Reiz (in der Art eines nostalgischen Flairs) der Benzine’schen Prosa in ihrer Nähe zu Camus’ „Mensch in der Revolte“.