Yoko Tawada
Die Welt beim Wort packen
Yoko Tawada charakterisiert den lyrischen Zugriff der Kollegin:
„Sie packt die Welt beim Wort.“
Allein die Titel ihres Werks verdienten eine Ausstellung. Duden besetze „einen Außenposten der deutschen Literatur“. Zugleich sei „ihre Position nicht lokalisierbar“.
In Dudens Poesie würden die Wörter „zu Gelenken von Denkbewegungen“.
Man könne Dudens Verse nicht „nach einem Rezept lesen“. Vielmehr erschlössen sie sich immer wieder anders.
Der ungeregelte Zugang ist ein Schlüssel zum Verständnis.
Tawada verortet Duden mit Begriffen von Paul Celan und Heiner Müller in der Nichtlokalisierbarkeit ihrer Außenstelle. Über Celan sagt sie, „er habe sich immer weiter in die deutsche Sprache hineingearbeitet; obwohl er wenig Grund dazu hatte“.
Duden war einst sofort da, nach einem jahrelangen Anlauf. Ich sehe schon, das Paradoxe triumphiert über den nüchternen Tag. Die gebürtige Oldenburgerin absolvierte eine Lehre zur Buchhändlerin „im kalten Land“ (Rolf Dieter Brinkmann über Oldenburg), studierte nach den Gepflogenheiten ihrer Generation und ging dahin, wo die anderen bereits waren.
Handschriftliche Exzesse
In einer Sezession ritt sie mit den Rebellinnen fort von Wagenbach, hin zu Rotbuch. Im Jahr des Deutschen Herbstes, Duden selbst verwendet im Haus der Poesie diese Marke, ging sie nach London, wo ihr Erich Fried half. Der alte Dichter war Klaus Wagenbach treu-, ein Streit mit der Dissidentin gleichwohl aus-geblieben.
Duden rutscht so über die Partie, Fried besorgte ihr ein Zimmer und hielt sich mit Befragungen der Wirtin auf. So erfuhr er, dass in dem Zimmer wie verrückt geschrieben wurde. Duden betont das Pathos, mit dem Fried Beteilung an den Ergebnissen der handschriftlichen Exzesse forderte.
Aus Wikipedia
1972 wurde Anne Duden Mitarbeiterin des Wagenbach-Verlags; als sich von diesem im darauffolgenden Jahr der Rotbuch Verlag abspaltete, gehörte sie zu den Mitbegründern. Seit 1977 lebt sie als freie Schriftstellerin in London und Berlin. 1987 war sie Gastprofessorin für Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg, 1995/1996 hielt sie Poetikvorlesungen an der Universität Paderborn, 1996/1997 an der Universität Zürich. Anne Duden ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, des PEN Deutschland und korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.
Fried war der Poesie-Böll des linken Establishments
Duden versuchte sich herauszureden. Vielleicht fühlte sie sich zu sehr angeschmachtet. Las dann aber doch Fried vor.
Was haben wir Fried gelesen. Der Plural nimmt mich aus und beschränkt sich auf meine Alterskohorte. Fried war der Poesie-Böll des linken Establishments.
Aus der Veranstaltungsankündigung
Bereits mit dem Erscheinen ihres Debüts „Übergang“ bezog Anne Duden einen extremen Außenposten in der deutschen Gegenwartsliteratur. Die Kritik versagte vor einem Werk, das sich gegen alle Kategorisierungen sperrt und Gattungszuschreibungen peinlich vermeidet. Ihre folgenden Bücher (unter ihnen „Steinschlag“, „Wimpertier“ und „Hingegend“) sind eine Aufforderung zur radikalen Ich- und Sichtüberschreitung, zu einer Entregelung aller Sinne.
Zentral im Werk von Anne Duden ist das Interesse am ikonografischen Drachenkampf. Die Dichterin zieht alle Register „von der präzisen Bildbeschreibung bis hin zur lyrischen Evokation“. Ihre Parteinahme für den Drachen ist konsequent.
Viele Gedichte sind „Parallelbewegungen“ (Tawada) zu Bildern. Duden erinnert sich an ihre Auseinandersetzung mit dem Werk von Gotthard Graubner.
„Wie viele Rots es gibt, verstand ich erst nach einer Sichtung seiner Sardischen Aquarelle.“
Graubners Bildwelt sei maritim, regelrecht aus dem Meer gezogen. Es provozierte eine Kongenialität im Spektrum zwischen „nässender Papierhaut“ und „nachträglichem Sinkblick“.
In meinen Notizen finde ich glücklich: „Die Ausbuchtungen des Vormorgens.“
„Zugleich und sehr heimlich von den Lippen geerntet.“
Vergriffene Schriften
Selbstverständlich habe sie nicht direkt auf die Bilder mit Text reagieren wollen. Doch was sie einnahm und weitergehen ließ, war ein Traum, den Duden auf Sardinien hatte und in dem ihr gesagt wurde: ihr Schreiben käme aus dem Wasser – eben so wie Graubners Malen.
Es ist der Mut zu solcher abwegigen Genauigkeit, der die Dichterin macht. Sie erkennt sich selbst am Vertrauen in ihre Darstellung einer Genese.
„Die Bilder werden vom Wind ins Wasser geweht und dann kommen sie raus und sind beschriftet.“
Duden lobt die Zurückhaltung der Bilder. Wessen Bilder auch immer. Es geht um Zurückhaltung als Haltung.
„Ich dachte, nichts kriegt mich aus der Renaissance in die Gegenwart und dann kam ich doch zu (Francis) Bacon.“
„Von innen und außen losgesprochen“, kam Duden zu Bacon. Das Zitat stammt von Derrida und aus einer vergriffenen Schrift. Duden sagt das spöttisch, was gut ist, ist vergriffen. Bei Derrida habe sie „den Schritt in die Freiheit des Gedichts“ gesehen.
Zeremonienmeisterin der Abwärtsbewegung
Die Grenzen werden aufgehoben …
Neben dem Blutstrom nichts als Kaltluft, heißt es in einem Gedicht über van Gogh. Jener malte „wie mit einem Flammenwerfer“.
Aus den Gedichten spricht „eine große Erregung“. Aber das Schreiben ist „unheimlich ruhig“.
„Schreiben ist eine allergische Reaktion“ auf die Welt.
Zum Schluss noch eine Bemerkung zur englischen Sprache in Dudens Werk. Da gibt es ein Gedicht mit der Zeile:
„Sich überall abwartend geben … Allseits nur getrennt durch Mörtel.“
Das Gedicht nimmt einen Nachbarn in Augenschein. Der Nachbar ist Maurer. Nun wählt Duden ein englisches Wort für Maurer: bricklayer. Brick ist der Backstein. In der Bezeichnung des Nachbarn als bricklayer erscheint Stein auf Stein das Verbindende und das Trennende. Selbst der Plebs von London wisse von dem Glück, Londoner zu sein – als Ausgeburt eines Weltnabels.
England läge „deutlich außerhalb Europas“.
„Die steilen Küsten stürzen ab und die sanften Strände versinken einfach.“ – Heimgeholt „von einer Zeremonienmeisterin der Abwärtsbewegung“.