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2021-06-10 08:48:55, Jamal Tuschick

Schwarzer Snobismus

Sehen Sie ferner https://www.textland-online.de/index.php?article_id=3376

Da sind Kinder, die den Unterschied zwischen einer Mutter und einer Haushälterin nicht kennen.

„Hab ich auch mal eine Mutter gehabt? fragte Tina schüchtern. Sie hatte schreckliche Angst davor, dass dies eine dumme Frage sei.“

Sie sind sich immerhin sicher, Töchter eines stattlich-schönen Schwarzen Schreiners zu sein, der eher aus Versehen zu einem Vermögen gelangt ist. Als Sohn einer verantwortungslosen Mutter, die kaum wusste, wer sein Erzeuger war, liegt hinter Luther eine Mündelkindheit.

Dorothy West, „Die Hochzeit“, Roman, auf Deutsch von Christa E. Seibicke, Hoffmann und Campe, 23,-

Nichts kann ihm den Schneid abkaufen. Schwierigkeiten hat Lute allein mit seiner Libido. Sie treibt ihn in die Arme weißer Frauen und sorgt für komplizierte Verhältnisse.

Seine Töchter haben andere Sorgen.

Sie hatte(n) sich schon den ganzen Sommer den Kopf darüber zerbrochen, wieso die Kinder im Oval so selbstverständlich von ihren Müttern sprachen, als hätten sie sie von Anfang an gehabt.“

Das Oval bezeichnet den Schauplatz des Triumphs einer sagenhaften Schwarzen Avantgarde, die in eine weiße Domäne einbrach und sich da bis zur Dominanz selbst übertraf. Inzwischen wirkt ein traditionsbewusster Nachwuchs bildbestimmend. Man ist konservativ und unterscheidet zwischen frivolen Beschäftigungen und ernsthaften Berufen. Das größte Ansehen genießt der Mediziner als Familienmensch und Gesellschaftslöwe.

West schildert eine verschworene Gemeinschaft Schwarzer Snobist:innen. Die Schwarzen Subalternen müssen durch die Dienstbotenpforten schlüpfen. Sie erwartet keine bessere Behandlung als in weißen Herr:innenhäusern.

Zurückhaltende Produktion

Die Geschichte beginnt fabelhaft. Schwarze, die in einer Ringburg des Wohlstands Abstand zu den Normalverläufen halten, verlangen von den vermutlich grundsätzlich Schwarzen Arbeiter:innen der Gegend besser versorgt zu werden als alle weißen Auftraggeber:innen in der Nachbarschaft. Zumal eine Pioniergeneration von Rassenschranken-Überwinder:innen begreift sich als Avantgarde einer Emanzipation, die ein ursprünglich weißes Territorium zur Schwarzen Hochburg werden ließ.

„Eine endlose Kette belangloser Aufgaben, die Vorrang hatten, besonders im Oval, dessen Bewohner Schwarze waren und daher auf bevorzugte Behandlung Wert legten.“

Dorothy West (1907-1998) war die letzte Repräsentantin der Harlem Renaissance. Ihr ebenso schlankes wie durchschlagendes Œuvre bezeugt eine zurückhaltende Produktion. West debütierte in den späten 1940er Jahren, der zweite Roman 1995. Eine neue Übersetzung bietet den Anlass, sich mit dem Spätwerk auseinander zu setzen. Einer Einführung entnehme ich, dass die Autorin als Chronistin der gehobenen Mittelschicht davon Abstand nahm, Unterdrückung und Armut mit ihrer Begabung zu kombinieren. Die letzten fünfzig Jahre ihres Lebens verbrachte sie auf Obamas Lieblingsferieninsel Martha’s Vineyard.

„Die Hochzeit“ spielt an einem einzigen Tag auf Martha’s Vineyard in den 1950er Jahren.

Aus der Ankündigung

Shelby und Meade wollen heiraten. Doch in dem elitären Zirkel auf Martha's Vineyard sind nicht alle mit der Verbindung einverstanden. Denn Shelby stammt aus einer Schwarzen Familie – und Meade ist weiß.

Ausgehend von einem Sommertag erzählt Dorothy West aus dem Leben von fünf Generationen einer Schwarzen Familie. Die junge Shelby, Augapfel der Schwarzen Gemeinschaft auf der Insel Martha’s Vineyard, will den New Yorker Jazzpianisten Meade heiraten. Doch Meade ist weiß und hat in den Augen der Familie Cole wenig zu bieten. Sollte es nicht lieber ein Mann aus den eigenen Reihen sein? Die Insel-Gemeinde besteht aus einem elitären Zirkel der Schwarzen Bourgeoisie. Die Angst vor Veränderung ist hier groß, und sie trägt ihre Wurzeln in langen Jahren der Unterdrückung. Doch am Ende muss Shelby die Entscheidung treffen, ob sie ihrem Herzen folgt, und wohin es sie führt.

Die Wiederentdeckung eines großen Klassikers der afroamerikanischen Literatur.

Zur Autorin

Dorothy West gründete 1934 die Literaturzeitschrift Challenge und war Mitbegründerin der Schwarzen Literaturbewegung "Harlem Rennaissance". Als Schriftstellerin feierte sie große Erfolge in den frühen dreißiger und vierziger Jahren. Mit The Living is Easy erschien 1948 ihr erster Roman. Ihr zweiter Roman, Die Hochzeit, erschien 1995 erstmals in den USA und wurde zu einem internationalen Bestseller. Nachdem sie viele Jahre auf Martha's Vineyard gelebt hatte, verstarb Dorothy West 1998 in Boston.