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2022-08-14 08:15:21, Jamal

Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.   

“Do not fight with strength, absorb it and use the flow.” Ip Man

“I do not run away. I don’t fight you. I just stay with you.” Adam Mitzner

“Style is knowing who you are, what you want to say, and not giving a damn.” Gore Vidal

“Fashion is what one wears oneself. What is unfashionable is what other people wear.” Oscar Wilde

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Der Zauberer bereits im Kindergarten mit herausragenden Magic-Force-Skills © Jamal Tuschick

In der Sitzhölle

Anzu, zwanzig, Kasselerin von Geburt, Japanologie-Studentin in Göttingen, DM-Dritte im letzten Jahr, lebt Budo. Kein Tag ohne Training. Anzu bleibt da nicht stehen, wo die meisten von uns innehalten, sei es aus Erschöpfung der Ressource, oder aus Loyalität Maeve Sensei gegenüber.

Anzu erweitert ihr Repertoire in Lehrgängen. Sie ist die Frau in der Highend Version eines Trainingsanzugs, mit dem skeptischen Blick, der gerümpften Nase und hochgezogenen Braue, der wahnsinnigen Umhängetasche und ewigen Wasserflasche, die ihre Wochenenden in der vollendeten Tristesse von Vorstadtturnhallen verbringt, um bei Welt- und Großmeistern oder israelischen Nahkampfexperten totsichere Messerabwehrtechniken zu lernen. Je länger Anzu übt, umso mysteriöser erscheint ihr das Genre. Ihr Interesse an spirituellen Gewinnen verfliegt gerade. Die geistige Dimension, der erzieherische Wert, die Persönlichkeitsschulung wurden zu Begriffen im Nebel. Anzu quält die Befürchtung, das wahre Karate in Deutschland zu verpassen. Da ist niemand so wie die fliegenden Tiger in ihren Träumen. Um sicher zu gehen, das ganze Paket aufgeschnürt zu haben, bucht sie ein Jahr Karate in einem Dōjō am Fuß des Kumotori im Okuchichibu-Gebirge.

Nagai Shihan unterrichtet da Kyokushin Karate. Er bewahrt das Erbe des Stiertöters Ōyama Masutatsu. Anzu begreift, dass Bewahrung in Japan ein Wert an sich ist. In den Bergen walten Kräfte, die nicht in die Welt expandieren. Karate ist ein Vehikel (eine Auslegung) des Japanisch-seins. Die Nicht-Japaner:innen* unter den Meisterschüler:innen* bleiben auf die höflichste Weise vom innersten Kreis ausgeschlossen. Anzu fühlt sich geprellt. Sie tröstet sich mit der Verehrung des zuvorkommenden Akio.

Akio und Anzu befleißigen sich gemeinsam des Lotussitzens. Für beide ist das noch schmerzhaft. Wird der Schmerz unerträglich, malt sich Anzu einen Tod auf dem Kissen aus.

Bei der ersten Fünfzehnstundenschicht führt sie Nagai Shihan durch die Sitzhölle. Das empfindet Anzu als Ermutigung. Sie gelangt zu der Überzeugung: Wer fünfzehn Stunden intensiv sitzen kann, schafft alles. Nagai Shihan dämpft die Euphorie. Er predigt:

„Löse dich von deinen Vorstellungen und Absichten.“ 

Anzu hält Nagai Shihan für einen Weisen mit Vorurteilen.

*

Nagai Shihan setzt Anzu der Gigantin Yemaya aus. Die Britin ist sprunggewaltig und unfassbar. Sie greift mit Tanzschritten an. Ihre unbekümmerte Art sorgt für Spannungen unter den konformistischen Japaner:innen*. Yemaya ignoriert das hierarchische Gefüge. Sie tut so, als habe ihre Karatesozialisation in einem antiautoritären Rahmen stattgefunden. Yemaya überwindet sogar den knüppelharten Ohio-Jack. Dass sich der Amerikaner beeindruckt zeigt, macht Anzu besonders zu schaffen.  

Yemaya war Maurerin, Dockarbeiterin und Köchin. Sie schreibt realsozialistische Romane. Karate versteht sie als Mittel der politischen Aktion, zumal als Möglichkeit der Agitation im Stil volkstümlicher Schauspiele. Kurz gesagt, Yemaya betrachtet sich als Revolutionärin. In einem Streit mit dem Inder Anil lässt Omi Sama, ein Mas-Ōyama-Bulle wie aus dem Bilderbuch, Zweifel daran zu, dass der Ursprung aller Kampfkünste im indischen Kalarippayat liegt. Er würdigt die Bedeutung von Kalarippayat herab. Anzu merkt sich die intriganteste Formulierung. Kalarippayat sei schon vor Jahrhunderten von der Kampfkunstevolution abgekoppelt worden.

Omis Rübe wurde von vielen kontrollierten Abstürzen im Reich einer Mama-san verwüstet. Mama-san bezeichnet eine Barfrau. Sie bemuttert Angestellte nach Feierabend mit Whisky, Bier und Verständnis. Jeder Omi hat seine eigene, namentlich gekennzeichnete Whiskyflasche auf dem Bord einer Bar stehen. Die Zechen kassiert Mama-san oft direkt bei dem Unternehmen, dem der Angestellte gehört.

Ikken hissatsu

Omis Großvater war mit Mas Ōyama in Amerika, als der Begründer des Kyokushin Karate zu Demonstrationszwecken Coca-Cola-Flaschen in beträchtlichen Quantitäten die Hälse mit der Handkante brach und man ihn deshalb den Beinamen Godhand gab.

Die familiäre Nähe zu Mas Ōyama und Omis Ähnlichkeit mit dem Großmeister bedeuten viel in Nagai Shihans Sphäre. Der Dōjō-Abt lacht über Omis Bemerkungen. Omi referiert den Urtext aus der Ära der Anfeindungen, denen Mas Ōyama und seine ersten Schüler:innen* ausgesetzt waren. Der Meister gehörte zur verachteten koreanischen Minderheit in Japan und lehrte, das behaupteten seine Kritiker:innen*, Straßenkampfkarate, das selbst Yakuza anerkannten. Im Grunde drehte sich vor den sportlichen Umdeutungen alles um Ikken hissatsu. Mit einem Schlag zu töten, entsprach dem Primat des Okinawa-Te, auf das sich jede Karatelinie berief. Für Europäer:innen* unbegreiflich blieb, dass der Geist tötet - in Verbindungen mit der Faust und der Atmung. Mas Ōyama lehrte: Wer dem Blick des Feindes*/der Feindin*, Mas Ōyama sagte Feind*/Feindin* und nicht Gegner*/Gegnerin*, denn schließlich war man warrior on the budo path und kein Sportler*/keine Sportlerin*, also, wer dem Blick des Feindes*/der Feindin* standhält, überwindet dessen/deren Geist. Zum überlegenen Geist gesellt sich die beatmete Faust und fertig ist die Laube.  

Omi Samas Klan zählt zu den in der Automatenbranche zu Geld gekommenen Osaka-Koreaner:innen*.  

Automatenhallenunterhaltung verbindet sich in Japan vielfach und in langen Traditionslinien mit den Existenzen von koreanischen Migrant:innen*. Die mitunter in der vierten Generation geächteten Garant:innen* eines süchtig gesuchten Vergnügens haben die Reputation von Dealer:innen*. Ohne jede Anerkennung sind sie systemrelevant.

Bald mehr.