Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.
“Do not fight with strength, absorb it and use the flow.” Ip Man
“You can’t frame something which does not exist.” Adam Mizner
“The movement comes from the release, not from contradiction.” AM
Meine Oma und ich Ende der 1980er Jahre auf dem Familienstammsitz, ‚Koppel‘ genannt. © Jamal Tuschick
Soziale Quarantäne
Ein japanischer Ritter sah in einem japanischen Bauern so wenig seinesgleichen wie in einem ... (um jeden unangemessenen Vergleich zu vermeiden. Stichwort: Sensitiv writing). Eine Nationalisierung der Gesellschaft auf allen Ebenen fand erst nach der erzwungenen Öffnung des Landes im 19. Jahrhundert statt. Der Homogenisierung der Bevölkerung folgte die Einführung einer bürgerlichen Verfassung im Geist des Code civil. Andere Monarchien bremsten den Fortschritt, Mutsuhito, der 1867 vierzehnjährig den Thron bestieg, seine Residenz von der ewigen Kaiserstadt Kyōto nach Edo verlegte, und im Zuge der Meiji-Restauration einer westlich orientierten Oberschicht Raum gab, beschleunigte den Fortschritt, um Fremdherrschaft zu vermeiden. Zum ersten Mal in der Landesgeschichte war unter seinem Vater eine Invasion nicht vollständig abgewiesen worden.
China in Agonie vor Augen, suchten westliche Potentaten ihren Vorteil mit der Vorstellung, Japan ließe sich so erniedrigen wie andere asiatische Staaten.
In Rekordzeit fand ein mittelalterlicher Militärstaat Anschluss an die globale Zukunft. Das Tempo war Staatsräson. Die Industrialisierung brachte die Mittel für eine Aufrüstung. Die Kriegsräte frohlockten: Wenn das nächste Mal ein amerikanisches Kanonenboot vorbeischwimmt, schießen wir es mit Gaijin-Knowhow zu Klump.
Um 1900 war Japan eine im Gegenwartsanzug versteckte Feudalgesellschaft mit moderner Armee. Das Kastendenken verschmolz mit dem Nationalismus in den Kasernen. 1945 wurde die Kaiserliche Marine versenkt und der pazifische Pazifismus verordnet. Artikel 9 der japanischen Verfassung verbietet den Unterhalt einer Armee. An ihrer Stelle halten die Selbstverteidigungsstreitkräfte (Jieitai) seit den Fünfzigerjahren den Traum vom militärischen Wiedererwachen am Leben.
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Yanai Narihiro Sōshō dient der nationalen Selbstverteidigung und ist eine Autorität der Ultranationalisten. Kuromaku nennt man in Japan so eine Person. Sie zieht die Fäden im Hintergrund und erscheint als graue Eminenz*.
Das weiß Anzu als angehende Japanologin und Trainingsgast in Nagai Shihans alpin-verwunschenem Dōjō nahe des höchsten und des westlichsten Punktes der Präfektur Tokio am Fuß des Kumotori im Okuchichibu-Gebirge.
Anzu ist eine von uns, eine Apsara in Maeve von Pechsteins Wilhelmshöher Dōjō. Getrieben von dem Wunsch nach Vollständigkeit unterwirft sie sich Nagai Shihans Old-School-Radikalität. Obwohl sie in Maeves karategöttlichen Großneffen Cole verliebt ist, nimmt sie - in der Not frisst die Teufelin Fliegen - mit dem sie schmachtend verehrenden Akio vorlieb. Der Tokioer Tölpel verrät Anzu unter dem Siegel der Verschwiegenheit, dass Yanai Narihiro Sōshō ein Ziehsohn des Politgangsters Kodama Yoshio (1911 - 1984) ist. Bereits als Zwölfjähriger schlug Kodama Yoshio Gewerkschaftler:innen* zusammen. Er lernte Karate von Chibana Chōshin und akklimatisierte sich politisch in einem Milieu der Geheimlogen und ultranationalistischen Parteien, die Japan als imperiale Macht mit einem Anspruch auf Ostasien begriffen. Er gehörte zu Gen’yōsha und Kenkokukai. In beiden Clubs plante man blutige Ernten in China und Korea.
Kodama Yoshio verfasste Gedichte und Streitschriften, die von Kaiser Hirohito nicht ignoriert wurden. Er war der Mann aus dem Volk, das Salz der Erde, vielseitig verwendbar im Spektrum zwischen Mord und Totschlag. Er koordinierte die Niederschlagung des antijapanischen Widerstands in der Mandschurei und stellte eine eigene Miliz auf. Er war ein Freund von Ōnishi Takijirō, der das Kamikaze-Konzept bis zu Einsatzreife entwickelte. Er verband die Yakuza mit den Triaden und trieb sich als Spion herum. Er marodierte mit seiner Miliz in besetzten Gebieten. Die Niederlage Japans erlebte er im Rang eines Konteradmirals. Er verzichtete auf rituellen Selbstmord und stieg in die demokratische Politik ein. Zwanzig Jahre festigte er die Beziehungen der Regierung zu den Yakuza in Absprachen mit der CIA.
Sein Zögling Yanai Narihiro Sōshō hat die paar Kilo zu viel, die beides bedeuten können: den Anfang vom Ende einer athletischen Lebensweise und den Buddha-Bauch als Ki-Akkumulator. Anzu übersieht er. Die Ochsentour im Dōjō schenkt er sich. Er ist nur in den Bergen, um (neunzig Fahrminuten vor Tokio) aufzutanken, den spartanischen Kurs gleichermaßen zu loben und zu missachten, und um zu philosophieren.
Yanai Narihiro Sōshō kumpelt mit Omi Sama, einem Mas-Ōyama-Doppelgänger. Anzu ahnt, dass sie in eine Gemeinschaft geraten ist, die ihre Konturen vor ihr vernebelt. Sie kriegt das Ausländerinnen-Menü. Auch die Britin Yemaya, der Inder Anil, der US-Amerikaner Jack und der Brasilianer Ousembè existieren im Okuchichibu-Gebirge in sozialer Quarantäne.
Bald mehr.