In den Achtzigerjahren vor dem Göttinger Institut für Leibeserziehung. Fotografiert von Mara Neusel. © Jamal Tuschick
„Kämpfe in hoffnungslosem Gelände.“*
*„Gelände, auf dem wir dem Untergang nur entgehen, wenn wir ohne Zögern kämpfen: das ist hoffnungsloses Gelände.“ Sunzi
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“Great works are performed not by strength but by perseverance.” Samuel Johnson
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„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Albert Einstein
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“It is not enough to succeed. Others must fail.“ Gore Vidal
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„A narcissist is someone better looking than you are.” GV
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„Der wichtigste Gebrauchsgegenstand, den ich kenne, ist die Information.“ Gordon Gekko
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„Energie ist für unser Überleben wichtig.“ Jim Al-Khalili
Wir bauen mit Energie Strukturen auf, die uns schützen, sagt der britische Physiker Jim Al-Khalili. Er erklärt, wie „Energie und Information die Welt im Innersten zusammenhält“.
Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar. Jeder weiß das, der in Coles Dunstkreis die Challenge angenommen hat. Unser Ziel: die erste Kasseler Karatevollkontaktmeisterin. Anwärterinnen auf den Titel sind Anzu, Lien, Minato, Puma, Taki, Tani, Sakura, Yoshi, und Umi. Sie bilden den Leistungs-A-Kader. Alle trainieren täglich zwei Mal.
1978 übernahm Cole die Karateschule seiner Großtante Maeve von Pechstein, die Vita contemplativa auf Japanisch in ihrem Ahnataler Schloss anstrebte. Maeve verabschiedete sich im Geist von Peter Suhrkamp, der seinem Nachfolger Siegfried Unseld den Traditionsbruch nahelegte. So wie ein Gründer könne der Erbe nicht führen. Maeve riet dem Großneffen zur radikalen Erneuerung.
Die Karateromantikerin sah die Notwendigkeit von Veränderungen ein, nicht jedoch eine Verknüpfung der Notwendigkeit mit ihrem Leben.
Coles Verschwiegenheit gestattete es ihm nicht, jenen visionären Schwärmer, den er vor allen verbarg, wenigstens im kleinen Kreis der Eingeschweißten* hervorzukehren. Er vermied jede Ankündigung seiner Absichten, um endlich mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich will jetzt noch nicht erzählen, wie Cole das Nachbarschaftszentrum seiner Großtante zum mega-magnetischen Tempel hochjazzte und dem Dōjō internationale Ausstrahlung mit feministischen Aspirationen eingab.
Das politische Design der Zukunft
Es geschah dies im deutschen Herbst. Niemand erkannte die Zeitenwende, während sie sich vollzog. Der Historiker Niall Ferguson datiert den letzten Weltwandel, „das Jahr Null unserer Zeit“ (Julian Assange), auf das Jahr 1979. In seinem Faktenthriller „Zeitenwende 1979 - Als die Welt von heute begann“ findet Frank Bösch viele Gewährsleute und Beispiele dafür, dass „die Welt von heute“ zehn Jahre vor Neunundachtzig begann. Die These untermauert er mit der Darstellung von zehn durchschlagenden Ereignissen.
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Erst stützte ihn die Bundesrepublik, dann unterstützte sie jene, die Schah Reza Pahlavi vom Pfauenthron stürzten. Den historischen Dreh- und Angelpunkt beschreibt Frank Bösch als weltgeschichtliche Wendemarke – und Initialzündung für das akute Jetzt. Nichts von dem, was im Februar 1979 in Teheran geschah, war vorhergesehen worden. Michel Foucault, der für Corriere della Sera den landesweiten Aufstand beobachtete, schrieb: „Das ist vielleicht die erste große Erhebung gegen die weltumspannenden Systeme.“
Innerhalb von drei Tagen waren die etablierten Machtstrukturen abgeräumt und weggefegt.
Viele werden den Menetekelcharakter von Foucaults Nachrichten aus dem Iran überlesen haben. Plötzlich fluteten verschleierte Frauen das Vorfeld der Reporter:innen*armee und erklärten ihre „Abkehr von der westlichen Moderne“ zum Ausblick auf das politische Design der Zukunft. Die Botschaft verhallte. Zukunft war nach allgemeinem Verständnis ein westliches Projekt. Man registrierte „eine Rückkehr ins Mittelalter“ unter Ajatollah Khomeinis Ägide.
Am 16. Oktober 1978 wurde der Pole Karol Wojtyla zum Papst (Johannes Paul II.) gewählt. Ein Jahr später löste sein Besuch in der kommunistischen Heimat ein Erdbeben der katholischen Begeisterung aus, in dem viele Brocken der Systemkritik durch die Luft flogen. Frank Bösch bemerkte: „In diesem Jahr häuften sich globale Ereignisse, die Türen zu unserer Gegenwart aufstießen. In zahlreichen Ländern kam es zu Revolutionen, Umbrüchen und Krisen, die viele Herausforderungen unserer heutigen Welt ankündigten.“
Ein Jahr später sorgte eine Versorgungskrise in Polen für Massenproteste. Werftarbeiter bildeten den Kern einer revolutionären Zelle, deren Metastasen den Ostblock bis zur Selbstaufgabe schwächten.
Gewitter im Kopf/ Bier aus der Wand
Die Geschichte wechselte die Gangart wie hinter einem Paravent. Niemand Bemerkte die dramatische Veränderungsgeschwindigkeit. Eines Tages geriet die angehende Physiotherapeutin Amina beim Nachschleifen in einen rauschhaften Zustand. Sie glitt in eine orgiastische Trance. Als sie wieder Erdenschwere spürte, fühlte sie sich verwandelt.
Sie fragte Cole, ob ihr etwas peinlich sein müsse. Nachdenklich schüttelte Cole den Kopf. Er machte Amina ein Angebot, das sie nicht ausschlagen konnte. Auch darauf komme ich zurück.
Ich will, dass Sie die Bögen sehen, den stolzen Hochbau, das Große und Ganze. Nach einer Teamsitzung in der Kurhessentherme überredeten Lien und Puma die Initiierten, in eine Kneipe zu gehen, die an der Stelle des alten Tanzcafés Fontane gerade eröffnet worden war. Das war nie zuvor geschehen. Noch nie hatte jemand Cole in einer Kneipe gesehen.
Der künftige Weltmeister nahm Maß an den gebeizten Dingen. Sie gefielen ihm nicht. Selbstverständlich bestellten einige seiner Schüler:innen* - nach alter Mütter Sitte - Bier und Korn. Frau/man griff zur Zigarette.
Da erhob sich Cole. Unwirsch wünschte er eine gute Nacht. Am nächsten Tag sahen wir den ersten Akt des Nachspiels. Cole begann seine Predigt mit einem Hinweis auf den Dōjō-Fünfjahresplan. Höchstes Planziel war eine Weltmeisterin vor Ablauf der Dekade als Premiumrepräsentantin der Karateschule Pechstein. Neun Athletinnen trainierten im Roten Kreis der Besten. Nun beschwor Cole die Auserwählten. Bis gestern habe er sich vereint geglaubt mit Leuten, die nach Vollkommenheit auf dem Karate-Do strebten. Dazu passten Fruchtsäfte und Schokoladen, Spaziergänge im Höhenpark Wilhelmshöhe, Wanderungen im Habichtswald, lustvoll-lange Meditationen, steifgebügelte Keikogi und jederzeit auch Unterweisungen von Meister:innen* verwandter Künste.
Rauchen und trinken passten nicht. Wer meinte, das Fass des Feminismus an dieser Stelle aufmachen zu müssen, im Sinne von Rauchen als feministische Tat, sollte sich auf der Stelle von allen verabschieden, die sich ernsthaft weiterentwickeln wollten.
Morgen mehr.