Keno erkennt eine Ähnlichkeit zwischen Goethe, so wie ihn Angelica Kauffmann 1787 sah, und John Wayne. Madeleine entzückt die Koinzidenz. Ihre Wangen röten sich im Feuer der Begeisterung für die gute Beobachtung.
In den 1990er Jahren in der Grünen Straße © Jamal Tuschick
Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.
Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.
„Die Besten zweifeln bloß, derweil das Pack/ Voll leidenschaftlichem Erleben ist.“ William Butler Yeats
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„(Die Mormon:innen*) besiedelten einst dies unheilvolle Land und dann verließen sie es, aber als sie weggingen, war der erste Orangenbaum gepflanzt.“ Joan Didion
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„Aber jedenfalls ist es ein Vergnügen, leutselig zu sein.“ Ilse Aichinger in einem Brief vom 22. August 1950 an Ingeborg Bachmann
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„Kleine Briefe waren in meiner Vorstellungskraft so viel wie leere Briefe.“ Christoph Martin Wieland
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„Die Menschen … räsonieren gewöhnlich nicht nach den Gesetzen der Vernunft. – Im Gegenteil ihre angeborene … Art zu räsonieren ist: (vom Einzelnen) aufs Allgemeine zu schließen, aus flüchtig … wahrgenommenen Begebenheiten irrige Folgerungen herzuleiten, und alle Augenblicke Worte mit Begriffen, und Begriffe mit Sachen zu verwechseln.“ Wieland
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„Es ist mit der Tugend wie mit dem Gold. Etwas Legierung von Silber oder Kupfer muss immerhin dabei geduldet werden.“ Wieland
Bruchbudenzauber und Aschenbecher-Existenzialismus
Madeleine Wieland analysiert Marotten vergreisender Sozialdemokrat:innen* im Senior:innen*stift August Bebel in der Friedrich-Ebert-Straße. Für Keno Teichmann arrangiert sie Details zu einem Bouquet heimeliger Tristesse. Dazu gehören ein gewesener Minister in Windeln, das psychoanalytisch aufschlussreiche Versagen der Tischmanieren, die manierierte Handhabung abgenagter Hühnerbeine und absurd-umständliche Teebeutelprozeduren. Vertrocknete Gurkenscheiben. Der pfeifende Dampfstrahl des Wasserkochers. Die Jumbodose Nescafé. Madeleine versammelt Randphänomene an einer Peripherie.
Der Beschreibungsmonomanie haftet etwas Krudes an; eine breitkrustige Beschaulichkeit. Madeleine bedient sich nicht am Pastellbuffet. Da ist nichts pointillistisch in ihren Miniaturen. Ihre Anstreicherpalette begünstigt jede Vergröberung. Madeleine registriert die Valeurs der Schlussseufzer mit dem Repertoire einer Mitleidlosen.
Die Ramschprozessionen vollziehen sich in gediegenen Verhältnissen. Madeleines Mutter Marcia, eine Cousine unserer Karate-Großmeisterin Maeve von Pechstein, leitet das August Bebel, wie man in Kassel volksmündlich zu dem exklusiven Kasten sagt.
Madeleine verdient sich ein Taschengeld im Hoheitsgebiet der Matriarchin. Die Todesnähe untergräbt ihre Reserven. Sie öffnet sich wie mit schwindenden Sinnen. Es hilft ihrer Lust auf die Sprünge, dass sie ihren hartnäckigsten Verehrer für hochintelligent halten darf. Keno kommt ihr mit den schönsten Merkwürdigkeiten. So erkennt er eine Ähnlichkeit zwischen Goethe, so wie ihn Angelica Kauffmann 1787 sah, und John Wayne. Madeleine entzückt die Koinzidenz. Ihre Wangen röten sich im Feuer der Begeisterung für die gute Beobachtung.
Napoleon als Sonne Europas
Keno stammt aus einfachen Verhältnissen. Seine Leute haben den zweiten Bildungsweg beschritten. Wie Macht funktioniert, wissen sie nicht. Keno lernt es gerade von der höheren Tochter Madeleine. Er zahlt sein Lehrgeld mit Exzerpten.
Exzentrik verlangt einen Aufwand, den zu treiben, Keno scheut. Seine Auftritte sind nicht auf Effekt getrimmt, sondern das Produkt sozialer Lethargie. Die Betriebsnudeln aller Lager begreifen den Künstler als jungen Mann nicht.
Keno referiert einen Schlüsselbrief der deutschen Literaturgeschichte, geschrieben in einer Zeit, als deutsch ein Synonym für trottelig war, wie Christoph Martin Wieland irgendwo bemerkt. Am 8. Oktober 1808 schildert Wieland Elisabeth zu Solms-Laubach aka Gräfin Elise zu Solms-Laubach seine Begegnungen mit Napoleon. Dazu muss man wissen, dass der Autor die Französische Revolution für das größte Ereignis seiner Epoche hielt. Für Wieland war Napoleon die Sonne Europas.
Ihm fehlt „das Talent des Laconisme“. „Die Kunst mit Wenigem viel zu sagen“ entspricht Wieland nicht. Dann ist er - des Kaisers wegen - in Weimar abkömmlich; ein Dissident seiner Absichten, den Landmann auf Gut Osmanstedt nicht nur zu spielen, sondern ein vorweggenommener Kittel-Tolstoi allen Ernstes zu sein.
„Ein Sozialist der Scholle“, sagt Keno, um Madeleine zu gefallen. Die Magistrale des Sozialismus führt direkt zu ihrem Schloss. Wieland als Vorläufer der linken Sozialdemokratie. Das schmeckt Madeleine. So soll es weitergehen.
Wir wissen es alle, Napoleon gastierte im Herbst 1808 anlässlich des Erfurter Fürst:innen*tages in Thüringen. Sein Abstecher nach Weimar ist legendär. Napoleon traf Goethe, der ihn zweimal versetzt hatte. Wieland gewährte der Allgewaltige eine exklusive Audienz, die um das Vergnügen erweitert wurde, den Kaiser frühstücken zu sehen. Von beiden Ereignissen berichtet der Geehrte.
„Napoleon fragte zweimal nach mir.“
Wieland tritt „ungepudert und ohne Degen“ auf. Napoleon lässt nicht lange auf sich warten. Wieland fühlt sich vom Blick des Mächtigsten durchbohrt. Er unterstellt Napoleon den größten psychologischen Scharfsinn. Er erklärt sich selbst als „leidige Celebrität“. Napoleon habe sich ihm angepasst, indem einen schlichten Mann hervorkehrte, der über den Gartenzaun der Egalität mit einem Nachbarn plauderte.
Wieland gesteht sein schlechtes Französisch.
Keno nutzt die Gelegenheit, Madeleine auf einen besonderen Punkt hinzuweisen. Wielands Werk beansprucht eine Schlüsselstellung in der deutschen Literatur. Trotzdem erscheint die Epochenfigur vor Napoleon bloß als verschlissener Greis mit pietistischer Vergangenheit. Wieland muss den Potenten bitten, ihn zu entlassen, „weil er sich nicht stark genug fühlt, das Stehen länger auszuhalten“. Ein paar Tage darauf beordert man ihn nach Erfurt. Er macht die Bekanntschaft von Prince de Benevent. Keno setzt eine Kunstpause. Ob Madeleine wohl weiß, wer Fürst Benevent war für die Welt.
Madeleine hasst es, so zu versagen. Wie kann dein Waldauer Emporkömmling ihr die Schmach bereiten, sie in die Verlegenheit einer Offenbarung ihrer Ahnungslosigkeit zu bringen. Blutig will sie sich rächen. Doch im Augenblick muss Madeleine die Segel streichen und den Kopf senken.
Keno triumphiert. Le Ministre Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord steckt im Benevent, der im Übrigen Wieland die kalte Schulter zeigt, da jener nichts zu bieten hat.
„Montag morgens erhielt ich die invitation, mich um halb 10 Uhr nach Hof zu verfügen, um Seine Majestät frühstücken zu sehen.“ Dazu bald mehr.
Furiose Formation
Madeleine und Keno unterhalten sich in einem Air von Urin, Kot, Moder und Desinfektionsmitteln. Für ihre Experimente dient ihnen eine elende Kammer als Labor.
„Die menschliche Gattung ist von Natur mit allem versehen, was zum Wahrnehmen … und Unterscheiden der Dinge nötig ist.“ Christoph Martin Wieland
Doch reicht der Augenschein? Das soziale Gefälle spielt im Moment keine Rolle. Die physische Exzellenz der Parteien so wie ein Fluidum aus Vortod-Ausdünstungen bilden eine feine Veitstanz-Formation.
Es stinkt nach Latrine, doch kommt kein Ekel auf. Kein Widerstand zeigt sich bald hier mehr oder da.
Wie haben wir das zu verstehen?
In der „Einfalt der Natur … von Mangel und Überfluss gleich weit entfernt“ (Wieland) entfaltet sich das Menschengeschlecht nach seiner Art. Unter den gegebenen Umständen genösse es kein Pausenbrot. Es kann sich aber ganz und gar gehen lassen im Rausch der Sinne. So kommt es, dass der Außenseiter (unter Madeleines Verehrern) Keno am nächsten Tag in seinem Tagebuch, das einmal unter dem Titel Teichmanns Aufzeichnungen legendär werden wird, der Nachwelt seine Verlobung mit Madeleine bekanntgibt. Darunter macht er es nämlich nicht.