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2022-09-16 06:35:21, Jamal

Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.   

Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.

Mit meiner Oma in Mühlacker Anfang der 1960er Jahre © Jamal Tuschick

“Muscle Tension overrides your intention” (Sifu Nima King), but thoughts drive physiological processes.

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“Always attack the structure of the opponent. Let him work on keeping his balance rather than attacking you.” Sandro Faricelli

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„Er hat eine zu edle Seele, als dass er zu den Lastern der Kleingeister und Feigen fähig wäre.“ Christoph Martin Wieland über seinen Schüler Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach (1757 - 1828)

Karatefeminismus und Verdauungsscham

Nachrichten aus dem Bauch der alten SPD

Es kam der 2. Juni im Jahr Siebenundsechzig. Der Tag endete in der Todesnacht von Stammheim zehn Jahre später. Bis dahin hatten wir zu tun. Wir kamen an die Regierung und mussten uns an der Macht halten. 

Wer wir waren? 

Mein Vater und ich. Papa und Keno. Geboren und aufgewachsen in der SPD-Matrix. Für meinen Vater ging nichts über die Sozialdemokratie, auch nicht die Familie. Die Partei stand an erster Stelle. Bei mir stand an erster Stelle Karate, aber dann kam gleich die SPD. 

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Das Klo auf halber Treppe ist oft besungen worden. Es war nicht beheizbar. Man stieg mit seinem Papier (nicht unbedingt von der Rolle, manche nutzten mit dem Lineal in Streifen gerissene, irgendwo aufgelesene Zeitungen) ins Treppenhaus und erfuhr vor Ort oft mehr als man wissen wollte. Wer oben auf war, musste nicht leise scheißen. Unter diesen Umständen verkümmerte die Verdauungsscham. Niemand träumte vom eigenen Klo, alle träumten vom eigenen Auto.  

Obwohl Sauberkeit und Ordnungsliebe die Hausfrau adelten, herrschte eine klandestine Drecktoleranz. Da man den Stoffwechsel der anderen nicht ausblenden konnte, weitete sich das Familiäre und streifte der Hausgemeinschaft einen Pyjama der Vertraulichkeit über, in dem man per Sie blieb. Ich wusste über Frau Hein nicht ernsthaft schlechter Bescheid als über meine Mutter. Frau Hein achtete auf mich, wenn meine Mutter keine Zeit hatte. Frau Hein erzog ihre Kinder drakonisch, meinte es aber nur gut und erinnerte gern daran, was ihr alles nicht geschadet hatte. Manchmal widmeten wir einen Nachmittag dem leidigen Thema Aufessen.

Ich will noch die Badewanne in unserer Küche erwähnen, die mit einer Platte abgedeckt, zum Esstisch wurde. Es gab noch nicht die Gemeinschaftswaschmaschinen im Keller. Die Frauen wuschen von Hand und brachte die besten Stücke in die Reinigung. Weißsteife Tischdecken waren ein Leistungsbeweis.

Dann zogen wir in ein Siedlungshaus mit Zentralheizung und Waschkeller. Meine Mutter jubelte. So sah die Zukunft aus. Die moderne Hausfrau lieferte einer großen Erzählung die Heldin, lange bevor die Familie nicht ohne Auto und Fernseher komplett war.

Ich lebte in einer guten Zeit. Meine Eltern waren in der schlechten Zeit Kinder gewesen. Ich teilte nicht ihr Vergnügen an einer Wohnung, die nicht um die Jahrhundertwende mit Versorgungs- und Dienstbotentrakt und einem Lastenpaternoster für Bürger gebaut und später umgebaut und geteilt worden war. Die Zweckmäßigkeit der nagelneuen Zwei-, drei- und Vierzimmerwohnungen bescherten den Erstbeziehern Kinoerlebnisse, die wir (die erste Generation Siedlungskinder) nicht begriffen. Es wurde noch gebaut, die Zufahrtswege waren verschlampt und die eingesessene Bevölkerung und deren Kinder waren ungnädig. Überall lauerte Gefahr in einer üblen Diaspora.  

Das eigene Klo half nicht im Neuland. Noch fuhren viele mit dem Fahrrad oder dem Bus zur Arbeit. Armut und Vollbeschäftigung schlossen sich nicht aus. Egalitärer als damals wurde es in meinem Leben nie mehr. Frau Hein hieß jetzt Frau Dell. Herr Dell war Reisebusfahrer und Kettenraucher. Er war der erste Vater mit einer Markise am Balkon. Nun vollzogen sich die Aufessdramen in einer Gemeinschaft mit zwei Mädchen, die jünger waren und mich zum großen Bruder hochjazzten.

Herr Dell reagierte allergisch auf die SPD, unterschied aber zwischen Person und Partei. Persönlich war ihm mein Vater sympathisch. Zehn Jahre heckten die beiden gemeinsame Urlaube aus, von der ersten Bustour in den Schwarzwald über die erste Urlaubsfahrt mit Herrn Dells eigenem Auto an den Edersee bis zum Dauerbrenner Italien, wo manchmal zehn Siedlungsfamilien auf einem Fleck klumpten. Die Väter waren von ganzem Herzen Kolonnenfahrer. Ihre Geruchsmischung aus Sonnenmilch, Rasierwasser und Zigarettenrauch gehört zu meinem ewigen Bestand. Das Camel Filteruniversum („Ich gehe meilenweit für eine Camel Filter“), die HB-Werbung („Wer wird den gleich in die Luft gehen“), die Störgeräusche im Autoradio, das Selbstverständnis, mit dem High Fidelity und Continental falsch ausgesprochen wurden, abschätzige Randbemerkungen über ausländische Kollegen, die Sexyness der Mütter in ihren Parfümwolken … Anfang der Siebziger ließen Dells sich scheiden, ohne dass vorher viel gestritten worden wäre. Herr Dell zog aus. Frau Dell wurde die Freundin eines Witwers mit sieben Kindern. Die Verbindung hält noch.