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2022-09-23 08:21:54, Jamal

Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.   

Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.

Um das Jahr 2000 in Frankfurt © Jamal Tuschick

The art consists in being able to decompress your joints under pressure. If you can do so, you’re allowed to ask your opponent for more pressure. Give me as much pressure as you like; I turn your blow into my flow. © Jamal Tuschick 

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“Your best defense is to use your brain.” Morio Higaonna

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“Develop your senses for the ways to get hit.” Cole von Pechstein

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„Gerüchte über Wiedervereinigung, das sind Erfindungen von Nachrichtendiensten.“ Heiner Müller 1982

Die Angst der Hirsche

Epigenetischer Telegrammstil 

Zwar kommt es nicht im Bewusstsein an, doch zeichnet es sich in der Physionomie ab. Beobachtende werden über einen physiologischen Vorgang informiert, der dem Beobachteten entgeht, während er ihm widerfährt.

Die ehemalige Weltklasseathletin Ines Geipel sichtete geheime Dissertationen von DDR-Militärwissenschaftler:innen*, um zu entdecken, dass sie als Probandin in Versuchsreihen ausgelesen worden war. Optimierer:innen* des militärisch-industriellen-Ostblockkomplexes hatten die Spitzensportlerin zu einem Wesen im Rang des „Bodenaffens“ aka „terrestrischen Beispiellebewesen“ Tevton degradiert.

„Ich erkannte mich als Ziffernfolge in einer Zahlenkolonne wieder.“ 

Tevton diente im Dezember 1983 als Synchrontier in einem Analogieverfahren, während die zu Kosmonauten aufgestiegenen Leidensgenossen Abrek und Bion in einem „Biosputnik“ gezwungenermaßen die Überlebenschancen irdischer Lebewesen im All ausloteten. Geipel schreibt: „Kapseltier Tevton, ein Bodenaffe unter brutalem Stress, mit gelöschtem Willen, der seine Mittel bekommt und daraufhin sein Programm abspult.“ 

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Nach dem Zweiten Weltkrieg entzog man Rhesusaffen massenhaft ihren Habitaten und versetzte sie zu Laborzwecken nach Techniknormen in künstliche Welten. „Allein Indien“, weiß Wikipedia, „exportierte in den 1950er Jahren jährlich ca. 200.000 bis 250.000 Makaken“. Für die Experimente in einem Spektrum zwischen Weltraumbesichtigung und Herztransplantation bevorzugte man „männliche Affen mittleren Alters“.

Zitiert aus Amitava Kumar, „Am Beispiel des Affen“, aus dem Englischen von Nikolaus Stingl, Hanser, 318 Seiten, 23,-

Die Selektion bewirkte eine „Störung des ökologischen Gleichgewichts“. Der männlichen Funktionselite beraubt, lösten sich Familienverbände in Prozessen „chaotischer Spaltung“ auf. Von ihren Herkunftsgemeinschaften abgesprengte Primaten entwickelten Neigungen zum Vandalismus. In Indien veränderten die Marodeure das Regelwerk einer tradierten Koexistenz. Amitava Kumars Held Kailash reist mit einer Makaken-Nummer in seiner Migranten-Revue von Arrah in indischen Bundesstaat Bihar nach New York. In Amerika erzählt er den Leuten von einem Makaken, der in das Haus von Kailashs Familie eindrang und einen Revolver erbeutete. Er bedrohte eine Cousine des Erzählers, bevor er sich selbst erschoss.

Vor der Explosion sieht der Makake in die Mündung wie in einen Spiegel.

Die Spannungen, denen die Labortiere ausgeliefert sind, liegen für sie außerhalb des Erwartbaren. Die in unmenschliche Experimente eingespannten Affen machen Erfahrungen, die ihrer DNA im epigenetischen Telegrammstil eingeschrieben werden. Die terrorisierten Populationen sehen zwar noch so aus wie ihre Vorfahren, ticken aber anders.

Kailash denkt auch über „die Wiederansiedlung von Wölfen im Yellowstone Park“ nach. Das Ergebnis einer Studie zerstört die Hoffnung jener Wildhüter:innen*, die sich von Beutegreifer:innen* eine Verbiss-Abnahme versprachen.  

Kailash sieht ein Video mit dem Titel Wie Wölfe Flüsse verändern. Darin werden Phänomene geschildert, die den Druck der Prädatoren auf die Hirsche belegen. Die Wölfe erzeugen ein Klima der Angst zum Vorteil der Vegetation. In Angstlandschaften organsiert die räuberische Lebensweise Pflanzenwachstum.

„Entscheidend (ist) … offensichtlich gar nicht so sehr die Dichtebegrenzung … durch den Fraßdruck des Prädators …, sondern einfach die Furcht der (Beutetiere) vor den Wölfen, also eine Verhaltensänderung. “

Kumar beschreibt eine soziale Evolution. Die Angst der Hirsche gibt nicht nur Pflanzen Raum, sondern auch den Hirschen Anhaltspunkte, wie sie unter verschärften Bedingungen überleben.

Die erholten Pappelbestände des Yellowstone Parks rufen Biber auf den Plan, die da weitermachen, wo die Hirsche aufgehört haben. Sie nehmen freigewordene Plätze ein.

Der verdrängte Hirsch taucht als Biber wieder auf.

Betrachte ich meine Kindheit und Jugend fällt es mir leicht, meine persönliche Angstlandschaft auszumachen. Ich identifiziere die Wölfe, Hirsche, Biber und Affen in dieser Landschaft. Nach- und Aufrückende waren stets in der Biberposition. Mit rücksichtsloser Ignoranz besetzten sie aufgegebene Räume.   

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Mein Vater, der Alte Fritz, predigte Ausdauer, Vorausschau und Zuversicht. Die Dreifaltigkeit hielt sich an der Spitze seiner Maximen, solange wir im Gespräch blieben. Als Kapitän in seiner Lebensbadewanne navigierte mein Vater trickreich. Er setzte gern widersprüchliche Impulse. Vorderhand erschien er als Prophet der klaren Kante; als gusseiserner SPD-Genosse, der sich nicht verbiegen ließ und gar nicht verstellen konnte.     

In Wahrheit praktizierte er Täuschungsmanöver über vier und mehr Stationen. So sicherte er das, was er seine innere Unabhängigkeit nannte. Da er nicht als Durchstecher auftrieb und nie eine Vereinskasse veruntreute, hielten ihn die Leute für eine ehrliche Haut.

Chancen der Antizipation zu erwägen, begann ich in der Auseinandersetzung mit Lisbeth. Meine Großcousine wuchs als Nachzüglerin wie ein Einzelkind bei Eltern im Alter meiner Großeltern auf. Das gesetzte Gebaren der Halbgreisen färbte ab. Jede(r) fand Lisbeth altklug, aber mich faszinierte sie, wenn sie triumphal die Prisen schlauer Vorausschau einstrich.

Lisbeth konnte die Familiespiele besser lesen als ich. Mit Iris Leise setzte ich die Erkundungen fort, die ich mit Lisbeth begonnen hatte. Dazu kam Madeleine Wieland. Madeleine und ich waren füreinander lose Enden, jedoch in der schwachen Verbindung sehr offenherzig. Wir erzählten uns Sachen, die wir Vertrauteren verschwiegen. Madeleines Hauptmann verkörperte sämtliche Klischees der Kasseler Kernigkeit, sah man davon ab, dass Roland bekennender Jungsozialist war und sich mit Leuten abgab, die seine Kraftraum- und Kraftrad-Kumpel indiskutabel fanden. Madeleine erlaubte mir zu bemerken, wie limitiert Roland ihr erschien. Aber auch das hatte seinen Reiz im Rahmen einer Erzählung vom einfachen Leben im Eigenheim mit Garten, zwei Kindern, vier motorisierten Fahrzeugen, Grillnachmittagen, Erlebnissen an den Außenlinien von Landkreis-Hartplätzen, Motorradausflügen bis dorthinaus, Freundschaften in allen Himmelsrichtungen, Geselligkeit an jedem Gartenzaun, handwerkliches Geschick, Organisationstalent … da kam nichts von hinten durch die Faust ins Auge. Es gab keine Politik der Nadelstiche, keine feinen Spitzen, sondern als Ärger, Wut und Gemeinheit klar deklarierte Grobheiten.

Selbst durch die Grauschleier von vierzig Jahren Abstand erkenne ich noch Rolands Qualitäten, dieses Talent zum Glück im Winkel, das Madeleine nicht reichte. Sie wurde dann eine Ikone der Frankfurter Sponti-Szene. Die nordhessische Peripherie verlor sie ans hot-hessische Zentrum.

Ilja Richters Disco-Mantra „Licht aus! Spot an! übersetzten wir uns so:

Licht aus: Kassel. Spot an: Frankfurt.