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2022-09-26 08:20:18, Jamal

Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.   

Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.

Mein Großvater und ich © Jamal Tuschick

„Zusammenfassend kommt (Jeremy Hayward) zu dem Schluss, dass das menschliche Bewusstsein möglicherweise grundlegender als Raum und Zeit sei.“ Wanda Badwal

Bella Ciao

In Marburg stieg Hannes Wader zu. Ihm räumte Madeleine Platz ein. Hannes Wader war unser Pete Seeger. Wir sangen „Bella Ciao“, bis wir in Frankfurt am Main einfuhren und uns die Lederjacken der Putzfraktion frenetisch einen großen Bahnhof bereiteten.

Im Zug beanspruchte ich so wenig Platz wie möglich, während Madeleine mit ihren Sachen das Abteil okkupierte. Sie kam aus einer Familie von Benson & Hedges-Raucher:innen*. Sogar die Klos in Madeleines Elternhaus hatten originelle Formen und erinnerten an S. Dalis zerlaufene Uhren. Der alte Benson trug Protzuhren und die weißen Hemden mit der schwarzen Rose der Markenbewussten. Er hatte Schuhe für zuhause, um nicht zum Pantoffelhelden zu werden. Er war der einzige Konsument aus Leidenschaft in dem Milieu meiner Kindheit und Jugend. In seinen Garagen und Kellern verwandelten sich Gegenstände in Plunder. Der bloße Anhäufungswahn suggerierte seelische Verwahrlosung. Benson trat stets mit Kippe und Glas auf. Die Stimme rauchte.

Im Wohnzimmer gab es eine modische Vertiefung, Sitzsäcke und eine Kaminattrappe. Teurer Blödsinn glänzte. Täglich wurde gründlich saubergemacht. Dafür hatte man Personal.    

Kaum zu glauben, dass Madeleine mir einst leidgetan hatte. Die Wahrheit ist manchmal nur ein Strich in der Landschaft. Nun saßen wir im Zug nach Frankfurt am Main. Zum ersten Mal sollte ich jene sagenhafte Kommune kennenlernen, die Madeleine aufgenommen hatte und von der sie ununterbrochen sprach. Alle Kommunarden studierten pro forma Soziologie an der Goethe Universität und betrieben im Kollektiv die Karl Marx Buchhandlung in dem mir unbekannten Stadtteil Bockenheim.

Madeleines Frankfurter Favorit war Dilan, der Perser.  

Der Iran stand vor dem Ende seiner Monarchie. Eine Götterdämmerung bahnte sich an. Schah Reza Pahlavi hatte solange als Jetset-Märchenkönig am Sehnsuchtshorizont deutscher Hausfrauen die Stellung gehalten. Einer musste für sie stellvertretend wie Gott in Frankreich leben und eimerweise Kaviar verputzen.

Reza würde nie wieder in Sankt Moritz an den Hängen posieren. Ein Foto zeigt Madeleines Vater neben dem Schah, so volkstümlich. Der alte Benson war ein hohes Tier in einem Bergbaukonzern, der in Kassel sein Stammhaus hatte. Mit seiner ersten Familie hatte er in Teheran gelebt, sich nach der Rückkehr scheiden lassen und mit Madeleines Mutter noch mal von vorn angefangen. Die Zweitfamilie hatte den Charakter eines Zweitwagens. Die erste Frau residierte in einem Schloss im Druseltal. Ihre Söhne waren Zöglinge gewesen und lebten nun in Cambridge als formidable Wissenschaftler. Sie spielten in einer anderen Liga als das ursprünglich einfältige Einzelkind Madeleine, das sich von ihrer Freundin Ingvild die Marmelade vorschreiben ließ; überfordert von den vielen Geschmacksrichtungen.

Selbstverständlich kam Dilan aus einer bedeutenden und begüterten Familie. Selbstverständlich war er Revolutionär. Er versprach sich alles von Ajatollah Chomeini, dessen Rückkehr nach Teheran bevorstand. Ja, der Ajatollah war ein Hoffnungsträger der Linken, so wie die Mudschaheddin die Guten waren. Aber da war auch noch Roland, Madeleines Sexgenosse seit frühster Jugend. Das war keiner, der sich einfach so vom Brot schmieren ließ wie eine Wurst, von der man genug hat.

Auch mich verband viel mit Roland. Wir waren Brüder im Geiste des Jungsozialismus in einer provinziellen Spielart. In uns arbeitete die Ablehnung. Wir waren durch die totalitäre Schule des ewigen Hessen- und besessenen Waldmeisters Holger Kühne gegangen. Deshalb wussten wir stets, woher der Wind weht und was Harzaustritt an Kiefern bedeutet. Holger hatte uns beigebracht, wie man die Verfassung von Böden am Krautbestand erkennt. 

Inzwischen war Madeleine meinungsstark, einleuchtend, super anerkannt, und Ingvild reiste auf ihrem Ticket. Sie begnügte sich mit Madeleines Leftovers.  Ich war heiß gespannt auf die Bockenheimer Kommune mit ihren Zeitgeistsieger:innen*. Die Frankfurter:innen* sahen richtig aus und sagten die richtigen Sachen. Sie trieben die außerparlamentarische Opposition vor sich her, entkräftigten die kommunistischen Sekten und bereiteten einem breiten Strom das Bett künftiger Regierungsbeteiligung. Sie nahmen, was sie kriegen konnten von der SPD. Das hätte ich nicht gewusst, wäre es mir nicht erklärt worden.

In Marburg stieg Hannes Wader zu. Ihm räumte Madeleine Platz ein. Hannes Wader war unser Pete Seeger. Wir sangen „Bella Ciao“, bis wir in Frankfurt einfuhren und uns die Lederjacken der Putzfraktion frenetisch einen großen Bahnhof bereiteten.