Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.
Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.
Pandae Dollyo Chagi, Anfang der 1980er Jahre in Göttingen © Jamal Tuschick
„Wir Menschen sind ... kognitiv ... weiter als ... unsere Biologie. Trotzdem spüren wir die Auswirkungen der neurophysiologischen und hormonellen Grundlagen des Fight-or-Flight-Geschehens, denn sie sind in uns veranlagt.“ Bert te Wildt, Timo Schiele, „Burn On: Immer kurz vorm Burn Out. Das unerkannte Leiden und was dagegen hilft“
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“Don’t … fight the incoming force.” Sifu Sergio
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“Transform the force of your opponent back into your opponent.” Adam Mitzner
Sterne am Qi-Himmel
Dann gingen die Kifferkönig: innen auf den Indien-, Yoga- und Wald-Trip und gaben so die Richtung für Mit- und Nachläufer:innen vor. Ich war aber ein Vorläufer und schon auf dem Karate-Do. Es ging alles wild durcheinander, doch war nun allgemein Bewegung im Spiel.
Mara und ich fahren zum Herkules und spielen Boule auf verwunschenen Wiesen. Wir spielen Federball - und Tischtennis im Hobbykeller meiner Eltern. Wir gehen spazieren wie ein altes Ehepaar. Wir schränken uns ein, wenn es um ungesunde Sachen geht. Zumindest nehmen wir uns das vor. Wir sammeln Brennnesseln. Und ehe wir uns versehen, befinden wir uns heimlich auf einem Trimm-dich-Pfad. Yoga kann man öffentlich gut finden, aber Trimm-dich ist Turnvater Jahn und ganz bestimmt nichts für die Jeunesse dorée von Kassel; zu der ich zum Glück nicht gehöre.
Die feinen Unterschiede müssen unbedingt noch besprochen werden. Wie wir uns hoch- und runtergeschlafen haben. Aber nicht jetzt.
Mara zieht eine Linie zwischen Brennnesselsud, Erdbeeren-selber-pflücken, Marmelade einkochen, Kuchen nach Omarezepten backen und sich so hausbacken zu trimmen wie mein Polizistenonkel oder der Hauptkommissar, der Mara und mich als Paar angeblich besonders niedlich findet. Ich erwäge, zur Polizei zu gehen, während meine sogenannten Freund:innen* Andreas Baader-Baal-Phantast:innen* sind. Ihr radical chic stößt mich schon ab. Mara charakterisiert die alternativen Führer:innen*gestalten als „extrem affig“.
Sie will auf den Trimmpfad. Wir fahren zum Ausgangspunkt an der Arge Habichtswald und absolvieren den Parcours unter Berücksichtigung sämtlicher Hinweise, bevor wir unsere Prosecco-Qi-Übungen machen. Wir animieren unsere Kraftpunkte. Gehört haben wir, dass der Nabel die Quelle der Lebenskraft sei. Kurz gesagt, wir haben keine Ahnung, aber schon eine Abneigung gegen Wörter wie „Dantian“ und „Chi“. Vielleicht ist das auch nur eine Abneigung gegen den respektlosen Gebrauch von Begriffen, deren Umgebung für uns unvertrautes Terrain ist.
Ich kenne Spitzenjudoka, die von Zen noch nie gehört haben. Mein PSV-Karatelehrer ist ein beamteter Nussknacker, der Zackigkeit für den Schlüssel zum Verständnis seines „Sports“ hält. Der schillerndste Gong-fu-Praktizierende in Kassel qualifiziert sich in den Augen der Gemeinde, weil er sogar den Boxer:innen* überlegen ist.
Boxen ist ein Maßstab des Westens. Da weiß man, dass man nichts Falsches lernt und nichts Verblasenes zu hören kriegt.
Unser Taekwondo-Großmeister Lee pflegt eine bayrische Biergemütlichkeit. Einer seiner Meisterschüler kommt manchmal mit einer Bierfahne zum Training. Unser Taijiquan-Experte beruft sich auf eine autodidaktische Ausbildung, die ihn nebenbei dazu befähigte, ein Buch über fernöstliche Meditation und Vertrauensspiele zu schreiben. Ich habe noch ein Exemplar. Vielleicht zeige ich es euch mal. Dieser Autor ist einer meiner Sportlehrer. Er hat eine Vergangenheit als Bundesligahandballer und ist nun auf den Trichter gekommen, dass soft gut kommt. Es geht ums Anfassen, ich hatte das lange nicht mehr auf dem Schirm. Ständig wurde angefasst, das ginge heute auch nicht mehr.
Wir sind Blinde auf dem Qi Gong-Weg, doch Sehende auf dem Trimm-dich-Pfad. Was wir begreifen, hängt von unserer Prägung ab. Ich will darüber hinaus. Mein bester Gewährsmann ist ein südvietnamesischer Geflüchteter. Xuan macht seine Übungen ohne spirituelle Verzuckerung. Er ölt seine Maschine, hält den Motor gymnastisch im Topzustand.
Das ist es. Ich habe schon Karate, Taekwondo, Boxen, kameradschaftliches Judo und dieses Schein-Taijiquan in meinem Budo-Portfolio. Doch erst Xuan zeigt mir Sterne am Qi-Himmel.
Eine Ahnung beginnt in mir aufzudämmern.