Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.
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Frankfurt 2000 © Robert Schuler
Avancierte Kanaille
Gleich nach der französischen Revolution entdeckte frau/man, dass Ansichten, die vorher die herausragenden, bei Hof zugelassene Denkerin gemacht hatten, rasend volkstümlich geworden waren. Die Revolution habe den menschlichen Geist beschleunigt, meldet Karl August Varnhagen von Ense dem Freund Karl Georg Jacob. Antigone von Conrady reichte der Skepsis ihre Feder: „Die avancierte Kanaille treibt bei jedem Wetter Ideenkommerz, bläst sich auf und hat leichtes Spiel. Jeder Unfug vervielfältigt sich wie ein Blitz im Spiegelsaal.“
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Es gab keinen auf die Zukunft gerichteten Widervereinigungswillen vor Neunundachtzig. Mit dieser Behauptung schloss Frank Wolff in seiner Analyse „Die Mauergesellschaft“ zum Diskurs auf.
„Supranationale Wertediskussion“
Die sozialdemokratische Ostpolitik der Brandt-Ära hatte etwas Ergreifendes und etwas Einschläferndes. Der Hauptsatz „Annäherung durch Wandel“ fußte auf der Konvergenztheorie von Superminister Karl Schiller, dessen Popularität sich kein Mensch mehr vorstellen kann. Ziemlich schnell erkannten auch schwächere Denker:innen*, dass es nur eine einseitige Annäherung geben würde, die schließlich in der Übernahme der DDR mündete.
Vorgesehen war das nicht.
Der Historiker Frank Wolff sagt dem Sinn nach: Es gab keinen auf die Zukunft gerichteten Widervereinigungswillen vor Neunundachtzig.
Die Einheit war in der Zweistaatlichkeit „nicht angelegt“. Vielmehr wurde sie nach Neunundachtzig hergestellt, und zwar „in einem nicht staatlichen Kommunikationsraum“. Auch das stellt Frank Wolff fest: im Widerspruch zu der Version von einem autonomen Wiedervereinigungsprozess.
Man muss sich die Vorbehalte gegen eine Rahmung der Zusammenführung als natürlich, organisch, unvermeidlich etc. immer wieder erarbeiten, obwohl, so Wolff überzeugend, bereits in den 1980er-Jahren eine „supranationale Wertediskussion“ die „deutsch-deutsche Informationsgesellschaft“ erfasste. Der Weltgeist las Luhmann und wusste deshalb, dass auf Nationalstaaten beschränkte Gesellschaftsbegriffe „theoretisch nicht mehr satisfaktionsfähig“ waren.
Natürlich empfing keine Sterbliche einen Wink vom Weltgeist. Die galoppierende Geschichte behauptete einen Vorsprung im Verhältnis zu allen Expert:innen*, deren Expertisen auf zwei fundamentale Trugschlüsse hinausliefen: Die Aporie der Avantgarde und das Ende der Geschichte.
Wenige Jahre vor dem Kollaps des Ostblocks hörte ich zum ersten Mal, dass die aus den verlorenen Ostgebieten Vertriebenen in der DDR „Umsiedler“ (sprich Umsiedler:innen*) genannt wurden.
„Über die Weichsel mit dem Treck bei Eisgang
War meine erste Reise. Die Pferde gingen
Zu den Fischen, gezogen von den Wagen, und
Die Bauern, weil sie ihrs nicht lassen wollten
Gingen den Pferden nach, und was der Pole
Nicht hatte kriegen sollen, die Weichsel hats.“
Heiner Müller, „Die Umsiedlerin“
Auch Heiner Müller hatte einen sozialdemokratischen Vater, dem Schwerstes zugemutet worden war; so dass er dem Sohn schwach erschien. Der schwache Vater ist eine Erfahrung, die zur Chiffre wird. Heiner Müller verkennt vorsätzlich Machtverhältnisse, wenn er sein Verhalten während der Verhaftung des Vaters, ein Vierjähriger gibt vor, zu schlafen, als Verrat deklariert. Männer der Sturmabteilung holen den Sozialdemokraten aus der Wohnung, Sohn Heiner datiert den Vorgang nach seinem Belieben auf den 31. Januar 1933. An diesem Tag klappen die Nationalsozialisten Weimar zu, Affe tot und Tschüss, der Schriftsteller Heiner Müller ermächtigt sich, den Symbolgehalt des Datums in seine Biografie zu gießen. Andere zerbrechen an seiner Stelle, auch ein sächsischer Schuhmacher, der als verdämmernder Großvater in Heiner Müllers Œuvre geistert, zerbricht.
Heiner Müller bricht nicht.
Verrät er den Vater noch einmal mit seiner Entscheidung für die DDR? Jedenfalls geht ein Ehrgeiz dahin, für die Trennung von den Eltern, dem KZ-gebeugten Kurt Müller droht im neuen Deutschland der Stasi-Knast Hohenschönhausen, die allerläppischsten Erklärungen abzugeben. Heiner Müller ist der DDR willkommen mit seinen sozialistischen Hoffnungen. Er wähnt sich in den Reihen und auf dem Stand der Sieger:innen*. Er traut seinem Staat zu viel zu. Nach der ersten Aufführung der „Umsiedlerin“ am 30.9.1961 an einer Karlshorster Studentenbühne setzt Heiner Müllers Stigmatisierung ein. Heiner Müller fliegt aus dem Schriftstellerverband. Er wird in der DDR zum ungespielten Autor und bleibt das zwölf Jahre.
„Die Umsiedlerin“ war Gegenstand eines Vortrags auf dem Biedenkopf (bei Marburg). Es sprach Patrizia Funke, eine Religionswissenschaftlerin, die in der politischen Bildungsarbeit Fuß gefasst hatte. Ihre Eltern waren aus der DDR „geflohen“, aber die Vertriebenen blieben in Patrizias Wahrnehmung Umsiedler:innen*. Ich komme morgen noch mal auf Patrizia und dann auch auf Franz Fühmann zu sprechen.
Ich fand es stets wichtig und erhebend, dass auch Heiner Müllers Vater Kurt in der SPD war. Ich heiße selbst (unter anderem) Kurt nach meinem Großonkel Kurt Teichmann. Er stammte aus der ersten Ehe meines Urgroßvaters, einem bei der Reichsbahn beschäftigten Landvermesser, dessen Vater aus der nordpolnischen Bory Tucholskie (Tucheler Heide) als katholischer Missionar in das evangelische Kassel gekommen war. Bereits in der nächsten Generation konvertierten die Teichmanns. Bloß nicht anecken.