Im Dschungel der Städte hat Karate seine große Zeit noch vor sich.
Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.
Buchmesse 2001 © Jürgen Bauer
“The ability to feel your body with greater detail and precision comes after the fact. Feeling is a direct result of relaxing.” Maksem Manler, Quelle
Kommunikationsverweigerer im Muskelschrank
Ein Kavalier des 18. Jahrhunderts unterschied nicht zwischen Arbeit und Sklaverei. Das Leben wollte von der passablen Seite genommen werden, die Wände des Pechstein’schen Wohnzimmers waren von carrarischem Marmor, den Plafond trugen acht Säulen. Der Ritter ergab sich dem Raumgefühl auf vierhundert Fuß Länge, sechzig Fuß Breite und zweiundvierzig Fuß Höhe. Die Öfen waren mit größter Kunst in der Henschel-Gießerei aus Bronze gearbeitet worden. Sie hatten stückweise fünftausend Rthlr. gekostet. Fünf Kronleuchter illuminierten die Pracht. Jeder besaß eine Peripherie von dreiunddreißig Fuß. In dieser Umgebung verfasste Claus-Speer zu Pechstein und Schauenburg eine „Abhandlung zur Verhütung des Bettels“. Die Studie gipfelte in der Idee, jeden, der auf Kassels Straßen ein Almosen begehrte, ins Arbeitshaus zu stecken.
Pechstein unterschied a) Arme, denen es an Gelegenheit zur Arbeit fehlte, von b) Müßiggängern und c) bettelnden Kindern.
Wie dämmt man die Bettelei ein? Das war eine Frage von zentraler Bedeutung. Pechstein bestellte Koryphäen ein. Die Anhörungen fanden im Alten Teehaus am Elbenknick statt. Das Rittergeschlecht der Elben ließ sich zurückverfolgen bis zu der Zeit früher fränkischer Herrschaft. Das älteste Teehaus Hessens war ein Kleinod der Gartenarchitektur und ein Geschenk des japanischen Spitzendiplomaten Taifun Mushasi, dass europaweit Schule gemacht hatte. Da entwickelte Pechstein eine Agenda zur Beseitigung der sichtbaren Armut. Seinem Fürsten riet er zum Bau einer „Werkhaus-Anstalt“.
Der Fürst empfing die Delegierten der Armutskonferenz in seinem egyptischen Zimmer. Eine pharaonische Grablege-Phantasie in Ebenholz, Marmor, Gold und Bronze überließ die Besucher:innen* einem Zustand zwischen Schauer und Entzücken. Das egyptische Zimmer vereinte eine Staffel von Kabinetten, die den Eindruck von Pracht und Düsternis buchstäblich vertiefte. Man sah Personen, die den Teufel nicht fürchteten und sich einer direkten und ungetrübten Abstammung von Edlen gewiss sein durften, den Schweiß von der Stirn tupfen, ob der phantasmagorischen Erregungen vor Ort. Ein Löwe an der Leine Seiner Königlichen Hoheit trug zu allgemeinem Unbehagen bei. Der Fürst befahl den Zwölfstundenarbeitstag für Bedürftige. Sogleich gründete Pechstein das Reformirte Waysen- und Armenhaus (in dieser Schreibweise) an der Unterneustädter Peripherie als koedukatives Institut.
Der Ritter setzte Waisenkinder an Baumwollspinner. Diverse Seminarist:innen* unterrichteten das Gesindel an der Spindel.
An das zusammengefegte Elend richtete er einen Versorgungsauftrag. Die Waisen versorgten fortan Alte und andere Arme. Zum Waisenhaus kam eine Manufaktur und eine Maulbeerplantage. Die Herrschaft ließ spinnen, weben, stricken und sticken. Das Militär war wichtig als Abnehmerin von Socken.
*
Ein paar hundert Jahre später lauerte überall Revanchismus. Während sich die Besserinformierten um Madeleine scharrten und die Frankfurter Nacht zu ihrer Domäne erklärten, blieb ein später Erbe des Granden-Namen Pechstein in der Kommunenküche an Katja hängen. Es gab auf den Schauplätzen der Avantgarde stets eine Katja. Oft hieß sie auch so und führte außerdem einen Flüsternamen wegen irgendwelcher Eigenarten.
Erreichten sie ihre ärgsten Zustände, stieg Katja in einen masurischen Bauernschrank, der den Treck der Vertreibung ihrer Großeltern mitgemacht hatte und ihrer fiebrigen Existenz beruhigende Konturen verlieh.
„Der Schrank rahmt mich richtig.“
Erzählen Sie so was einem sechzehnjährigen Nordhessen, der zwanzig vollständige Klimmzüge schafft, Vizehessenmeister im Gewichtheben ist und jeden Tag fünf englische Phrasen auswendig lernt.
Tjerk von Pechstein, entfernt verwandt mit Antigone, Maeve und Cole von Pechstein, aber auch mit Blandine von Hainbach, trainierte mit künftigen Europameister:innen* im Boxen und Judo. Xuan lehrte ihn sein Familien-Gong-fu. Die Enthusiat:innen* kombinierten Kettenfauststöße mit Geraden und Haken in elternhäuslichen Hobbykellern. Das war zukunftsweisend. Heute sieht man solche Verbindungen allenthalben, aber in den 1970er Jahren ging es um die reine Lehre, die man jederzeit wie einen Zug verpassen konnte, wenn man falsch übte. Tjerk trainierte auch Karate im Polizeisportverein. Aktiv beobachtete er die Entwicklungen in der Taekwondo-Schule Lee.
*
Katja saß im Schrank, ein Türflügel stand offen. Das war ein Erfolg, der sich Tjerks guten Einfluss verdankte. Jedenfalls behauptete das Katja, die einigermaßen bequem in ihrer Holzhöhle auf einem Omakissen saß, mit angezogenen Knien. Tjerk saß davor auf einem Schawellsche und verschaffte sich ab und zu Bewegung, indem er Liegestütze pumpte. Er stellte sich Madeleine auf einer Tanzfläche vor, begehrt von den Genossen Dany und Joschka so wie von den nachrangigen Spontis.
Katja kaute Haare. Sie zog ihr Haar durch den Mund und betrachtete das nasse Regressionsresultat. Durch hundert Schleier der Selbsttäuschung begann Tjerk zu ahnen, dass die Konstellation gar nicht so absurd und zufällig war, wie er es gern gehabt hätte. So wie es immer eine Katja gab, gab es eben auch immer einen Tjerk - den Kommunikationsverweigerer im Muskelschrank.