Gesegneter Fußtritt
In dem Kulturkampf seiner Epoche träumt Leopold von Sacher-Masoch im Tross des Fortschritts. Er erscheint als ein Überwinder im Schlafrock. Er will die „weltverachtende, sehnsuchtsvolle Liebe“ einer Frau, die es ihm erlaubt, „den Fußtritt zu segnen, den (sie) ihm (gibt)“.
Seelische Insolvenz und anarchische Apotheosen
„Und wenn ein schönes Kunstwerk aus Überspanntheit oder Unwahrheit heraus entsteht, ist es deshalb weniger schön?“ Wanda von Sacher-Masoch
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Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.
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„Kunst bedeutet Konfrontation.“ Rick Rubin
© Jamal Tuschick
Käsiger Kaiser
Unter den in Fronleiten kurenden Verehrer:innen des Schreibritters Leopold von Sacher-Masoch tummelt sich auch der republikanisch-revolutionär gestimmte Marquis de Rochefort-Luçay (1831 - 1913). Es gibt Leute, die in dem streitlustigen Feind von Napoleon III. (bürgerlich Charles Louis Napoleon Bonaparte, 1808 - 1873) den nächsten französischen Staatschef sehen.
Der käsige Kaiser belohnt schlecht dichtende Lobhudler:innen und lässt Balzacs Schinken unter den Tisch des Freiverkäuflichen fallen. Flaubert und Baudelaire haben Ärger mit der Zensurbehörde. Sie verteidigen die Moderne gegen eine kapriolende Restauration.
Die Kaiserfrommen sind vorsätzlich antiquiert. Flaubert bezeichnet den Nationaldichter Pierre-Jean de Béranger als „dreckigen Bourgeois“. In diesem Kulturkampf träumt L. im Tross des Fortschritts. Er ist ein Überwinder im Schlafrock.
Er will die „weltverachtende, sehnsuchtsvolle Liebe“ einer Frau, die es ihm erlaubt, „den Fußtritt zu segnen, den (sie) ihm (gibt)“.
L. freut sich über jeden Peitschenknall, und sei es einmal wieder nur der Kutscher gewesen. In schwülen Szenen diskutiert er die bürgerliche Emanzipation. Seine Akteure sind mit den Kräften der Zukunft. Nur zwischendurch müssen sie sich Göttinnen aus Fleisch und Blut unterwerfen dürfen.
Der Marquis de Rochefort verkörpert ein anderes Kaliber. Er lässt es auf der ganzen Linie einer ausgebauten Persönlichkeit krachen. Der Zeitungsmann zieht sich seine Debütblessuren beim Figaro zu. Er gründet La Lanterne und sorgt mit dem Blatt für den Spiegel-Skandal seiner Zeit. Für seine Überzeugungen geht er ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung exiliert Rochefort nach Brüssel, wo er ein europäisches Periodikum in Französisch, Englisch, Spanisch, Italienisch und Deutsch unter die Völker bringt. Bei jeder Gelegenheit duelliert er sich. Einer seiner Gegner ist Paul Adolphe Marie Prosper Granier de Cassagnac. Dafür interessiert man sich sogar in Amerika.
Die New York Times titelt am 31. Juli 1875:
“Latest News by Cable; A Threatened Duel. Rochefort challenges Paul de Cassagnac – The Seconds in Consultation (Quelle).
1869 erhält der Haudegen einen Platz im Corps Législatif, dem Unterhaus des französischen Parlaments. Er mischt sich massiv ein, auch mit einer neuen Zeitung - La Marseillaise. Wieder verliert er seine Freiheit im Arrest. Während der kurzen Spanne der Commune de Paris (18. März - 28. Mai 1871) kommt Rochefort erneut ins Spiel.
Zusammengeschossene Katharsis
Karl Marx nannte sie die „schönste Revolution der Weltgeschichte“. Isidore Ducasse (1846 - 1870), der sich als Comte de Lautréamont stilisierte und den Poète maudit kultivierte, schuf unter den Vorzeichen der Pariser Kommune ein singuläres Werk. Es nahm nicht nur den Surrealismus vorweg, sondern kündigte auch das Grauen des Schwarzen Jahrhunderts an. Es funktionierte wie ein Katechismus für alle möglichen anarchischen Apotheosen. Wer in den letzten hundert Jahren literarisch schrecklich wild sein wollte, bezog sich auf den Comte, also auf einen abgebrochenen Studenten, der zunächst anonym und auf eigene Kosten publizierte.
Am 11. Mai 1871 schleicht sich Rochefort verkleidet aus der Hauptstadt. In Meaux greift man ihn auf. Man deportiert ihn in die Strafkolonie von Neukaledonien. 1874 flieht der waffentüchtige Feuerkopf nach Kalifornien. Als er und seine Verlobte, die Lektorin und Übersetzerin Anna-Catherine Strebinger, mit den Sacher-Masochs in Frohnleiten auf sämtliche Freiheitsversprechen der Französischen Revolution anstoßen, ist er noch ein Geächteter. 1880 erlöst ihn eine Amnestie.
Beide Paare sind offen für Liebhaber:innen. Sie vereinen sich in größter Herzlichkeit. „Intim“ nennt Aurora die Beziehung.
„Wir duzen uns.“
Duzen bedeutet in diesem Kontext vielleicht völlige Libertinage. Gehobene französische Ehepaare siezen sogar ihre Babys.