„Hoch kalt und teilnahmslos zog der Mond über uns hin.“ Wanda von Sacher-Masoch
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„Das Leben der Menschen (erscheint) als Aufstand des Unterbewusstseins … gegen die sozialen und natürlichen Fesseln …“ Vito Pandolfi
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Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.
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Charles Baudelaire nannte George Sand eine „Spießerin der Unmoral“. Er unterstellte ihr die Urteilstiefe einer „Gardienne“. Darüber würde ich kein Wort verlieren, wäre es nicht Baudelaire gewesen, der, so erklärt es Hans Mayer, „die Dialektik von Skandal und bourgeoiser Gleichschaltung im Fall Georg Sand“ aufdeckte.
War Leopold von Sacher-Masoch ein Bruder Sands im Geiste einer Revolte der nackten Persönlichkeit?
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„Es gab schon vor dir Frauen von Schriftstellern oder Künstlern, die ihren Männern Opfer gebracht haben. Die Frau des Dichters St... hat sich in seiner Gegenwart zum Fenster hinausgeworfen, bloß weil ihr Mann sich beklagte, dass kein tragisches Ereignis sein Leben bewege und ihm Stimmung zu seinen Arbeiten gebe. Was verlange ich von dir? Dass du dir einen Liebhaber nimmst. Wahrlich, eine große Sache!“
Wanda von Sacher-Masoch zitiert so ihren Mann. Sie besteht darauf, dass hier Leopolds stärkste Obsession angesprochen wird. Für den Schriftsteller sei es unabdingbar gewesen, dass Wanda nicht aus „Leichtfertigkeit“ oder eigenem Begehren, sondern aus Gattenliebe/-loyalität handelte. Nach seinen Begriffen forderte ihr Part bei seinem Candaulismus „moralischen Mut“.
2021 © Jamal Tuschick
Pièce de résistance
Aurora und Leopold von Sacher-Masoch sind gefragte Leute. L. steht als Skandalautor hoch im Kurs. Die originellsten Köpfe der Epoche pilgern zu dem Schreibritter nach Graz, ohne sich an dessen bodenständigen Überspannung zu stören. Bodenständig sage ich, weil der räumliche Radius des Erotomanen einen stabilen Gegensatz zu seinen literarischen Ausschweifungen bildet. Das urbane Zentrum der Steiermark ist viele Jahre der Dreh- und Angelpunkt eines Autors mit europäischer Ausstrahlung.
Aurora begegnet Alberta von Maytner, die unter dem Pseudonym Margarethe Halm publiziert. Mit merkwürdigen Begründungen vermeidet die Schriftstellerin den öffentlichen Verkehr. Im Sommer ist es zu heiß, im Herbst zu kühl, im Winter zu kalt. Das Frühjahr bleibt in der Aufzählung außen vor.
Kälte macht „hässlich“. Besuch empfängt Maytner im Schlafzimmer. Ein mit Mullbahnen verhangenes Bett fungiert als pièce de résistance. So sagt es Aurora. Sie findet Maytner „noch … hübsch genug“.
Im Bett trägt die Ultrahäusliche ein „Hofkleid … (mit) ungeheurer Schleppe.
„Ihr schwarzes Haar, das drei Tage in der Woche in Wickeln schmachten musste, war jetzt frei und flutete ihr in graziösen Wellen über den Rücken.“
Maytner betrachtet sich als Stammmutter einer neuen Menschheit. In ihrem Schlafzimmer empfängt sie göttliche Sendungen/Segnungen. Der angenehm skeptischen Aurora versucht sie esoterisch den Mund wässrig zu machen; während L. der Verstiegenen nach dem Mund redet. Ihm kann kein Mensch zu irre sein.
Stahl im Leib
Zu den ausgefallensten Persönlichkeiten in Leopolds Dunstkreis zählt die Lektorin und Übersetzerin Anna-Catherine Strebinger. Sie lässt sich „selbstgekaufte Blumen oder selbstaufgegebene Telegramme ins Theater bringen“, um sie mit großartigem Erstaunen entgegenzunehmen.
Aurora nennt sie Kathrin, ich sage einfach Anna. In Österreich erscheint Anna als Inbegriff einer Französin, obwohl sie das mit einem bayrischen Vater in dem aufgeheizten Postbellum-Klima nach 1871 so wenig sein darf, dass ihr Dauerverlobter, der leidenschaftliche Anti-Bonapartist und zeitweise als französischer Präsidentschaftskandidat gehandelte Marquis de Rochefort, von seinen Parteigänger:innen vor die Wahl gestellt wurde, von Anna zu lassen, oder aber die Unterstützung seiner Partei zu verlieren.
Von der Geliebten zur Gattin, von Genf nach Graz …
Der auf allen Lebensfeldern expressive Henri lässt sich nicht einschränken. Er verficht seine Interessen mit militanter Vehemenz. Er geht keinem Duell aus dem Weg. Hinter ihm liegen Gefängnis, Deportation und mehr als eine verwegene Flucht. 1878 promoviert die Geliebte zur Gattin. Doch zuvor erwecken Anna und Henri den Anschein, als huldigten sie der Parteiräson in ihrer Intimsphäre. Annas mit Verve gespickter, jede Sentimentalität überschwänglich verwerfender Pragmatismus erlaubt ihr folgende Einsicht: „(Sie habe) lieber den Präsidenten Rochefort zum Freund … als den in Misskredit gekommenen Journalisten Rochefort zum Mann.“
Anna verballhornt die Steierische Volkstümlichkeit zur Gaudi ihres kultivierten Publikums. Sie duzt sich mit Aurora und L. Ungezwungen plaudert sie aus dem Nähkästchen. Die aufmerksame Zuhörerin bilanziert: „Von Liebe für (Rochefort) sah ich nichts, wohl aber von einer sehr richtigen Abschätzung seiner Bedeutung und der Vorteile, die es habe, ihm nahe zu stehen.“