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2023-04-11 08:34:17, Jamal

„Die Schilderung, die Sie mir von Frankreich geben, ist mit sehr schönen Farben gemalt. Aber Sie können mir sagen, was Sie wollen, ein Heer, das drei Jahre nacheinander überall geschlagen wird, wo es sich zeigt, ist sicherlich keine Schar von Cäsaren und Alexandern.“ Friedrich an Voltaire 1743

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Sehen Sie auch hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier und hier.

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„Der außergewöhnliche Aspekt der Kampfkunst liegt in der Einfachheit. Der einfache Weg ist der richtige Weg. Je näher Sie dem Wahren kommen, desto weniger Verschwendung von Ausdruck erleben Sie.“ Bruce Lee

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„Wie der Tod die Voraussetzung für die biologische Evolution ist, so ist stetes Verschwinden von Produkten und Strukturen die Voraussetzung für Fortschritt.“ Hans Widmer in der NZZ

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„Komm, geh‘ mit angeln, sagte der Fischer zum Wurm.“ Bertolt Brecht

In den 1990er Jahren © Jamal Tuschick

Kontinentaler Viktorianismus/Hoch- und Tiefbau des Gefühls

Die Habsburger Gesellschaftsspitzen existieren im Spannungsfeld zwischen feudaler Restauration und bürgerlichem Aufbruch. Spielarten eines kontinentalen Viktorianismus konkurrieren mit dem alpinen Biedermeier-Puritanismus unter der Glocke des Königlich-Kaiserlichen Imperialismus. Der Monarch, das adlige Gefolge und die Bourgeoisie sind sich so weit einig. Soziale Ingenieur:innen basteln am psychologischen Rahmenprogramm für den Gründerzeitturbo. Sie montieren Sicherheitsgurte an die Sitzschalen für den Gesellschaftsexpress. Überall vernimmt man schon den Motorengalopp der Zukunft.

Radical Chic im Fin de siècle

Die Freiheitsversprechen der Kunst funktionieren wie Druckventile. Die Psychoanalyse munitioniert bourgeoise Rebell:innen. Der Radical Chic gebietet es, sich zu exaltieren. Seine Herolde verehren den Schreibritter Leopold von Sacher-Masoch. Dessen Gattin, unsere Heldin Aurora, begrüßt die Groupies aller Geschlechter in ihrem Haus. L. braucht Bewunderung. Beifall schmeichelt dem Genie. Die literarische Produktion des Hausherrn ist die einzige Einnahmequelle. Alles, was den Ernährer in Gang hält, unterliegt dem Förderungsehrgeiz seiner Frau. Aurora lässt es zu, dass sich L. in Verehrer:innen verliebt und sich dabei sonst wohin versteigt. Er verspricht Fremden die Ehe mitunter. Er überschüttet die Subjekte seiner Inspiration, bis das Interesse schlagartig versiegt. Zu den ausgefallensten Persönlichkeiten in Leopolds Dunstkreis zählt die Lektorin und Übersetzerin Anna-Catherine Strebinger. Sie lässt sich „selbstgekaufte Blumen oder selbstaufgegebene Telegramme ins Theater bringen“, um sie mit großartigem Erstaunen entgegenzunehmen.

Aurora nennt sie Kathrin, ich sage einfach Anna. In Österreich erscheint Anna als Inbegriff einer Französin, obwohl sie das mit einem bayrischen Vater in dem aufgeheizten Postbellum-Klima nach 1871 gar nicht sein darf.

Wer glaubt, dass L. die Extremistin Anna umgehend zum Objekt seine Begierde macht, der irrt. Anna und L. mögen sich nicht. Die herrliche Psychologin Aurora stellt das mit gewohnter Kaltblütigkeit fest. Die beiden Irren finden sich gegenseitig zu irre. Im Gegenlicht dieser Einsicht verstehe ich auch noch einmal besser, was L. an Aurora bis zur Weißglut festhalten lässt. Aurora beteiligt sich so phantasievoll wie ergeben am Karneval der Obsessionen im Pelz- und Peitschenthemenkreis, doch bleibt sie seelisch unberührt und bürgerlich unangefochten. Aurora geht nicht auf dem Zahnfleisch des Wahns. Sie macht keine Szenen. Sie dramatisiert und dämonisiert nicht. Die Vorzüge ihrer Ehe verliert sie nie ganz aus den Augen.

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Anna ist rasend unkonventionell und ungeduldig mit allen Spießer:innen. Jemand, der sie zu kompromittieren wagt, schlägt sie mit der Reitpeitsche. Da sie als Frau nicht satisfaktionsfähig ist, kann sie der Beleidigte nicht fordern. Offiziere werfen sich vor Anna in den Dreck, um die Gunst zu erbitten, sich an ihrer Stelle duellieren zu dürfen. Das erlaubt sie keinem.

Anna macht sich nicht mit den Grazer Provinzgranden gemein. Ihr Hauptgeliebter, Marquis de Rochefort, steht in dem Ruf, der nächste französische Präsident zu werden. Das allein versteht Anna unter einer niveauvollen Verbindung. Gleichzeitig renommiert sie damit, in einem kostspieligen Arrangement, bettelarmen Männer gratis Geschlechtsverkehr gewährt zu haben. Rochefort musste dafür einen Sexarbeitsplatz mieten.

Kurz gesagt, in Anna toben die Elemente. Sie kann sich nicht schonen. Ständig muss sie Grenzen überschreiten. Jemand erklärt ihr, der aktuelle Herr auf Schloss Bertholdstein bei Gleichenberg besäße „eine prachtvolle Orientsammlung“ (heute im Polnischen Nationalmuseum in Krakau). Anna schreibt dem Mann. Sie lockt ihn, indem sie sich als Agentin des weltberühmten Rochefort darstellt. Der Schloss-er firmiert grandios als Sefer Pascha.

„Schon am nächsten Tage kam eine sehr warme Einladung von Sefer Pascha.“

Aurora fährt mit. Geplagt von Zahnschmerzen, bleibt L. zurück. Der Pascha entpuppt sich als polnischer Aristokrat. Graf Ladislaus Koszielski residiert noch nicht lange auf dem Bertholdsstein. Wie ein anderer Kara Bin Nemsi schwelgt er im Orientalismus. Sein osmanischer Rang ist aber echt. Er kam als Emissär der Magnaten-Dynastie Czartoryski nach Istanbul.